■ Was halten Sie vom neuen Berlin?
: „Der anarchistische Geist fehlt jetzt“

Jorge Correo, 34 Jahre, Künstler

In den letzten zehn Jahren ist viel gebaut worden. Teilweise gefällt mir das, es sieht ziemlich futuristisch aus. Aber das alte Stadtflair ist verlorengegangen. Ich meine den anarchistischen Geist, der in der Luft war. Der Hackesche Markt oder die Friedrichstraße sind für Touristen geschaffen worden, aber nicht für Berliner – als wäre das nicht ihre Stadt. Man hat Berlin an Sony und Mercedes-Benz verkauft.

Elke Paries, 39 Jahre, Gärtnerin

Ich habe jahrelang in Kreuzberg direkt an der Mauer gelebt. Es war sehr ruhig. Früher war es ein richtiger Kiez. Die Menschen haben sich untereinander mehr geholfen. Jetzt macht jeder seine Sache. Die Stadt ist riesig geworden. Das Geld ist präsent. Kleine Cafés, Secondhandläden gehen gerade in Kreuzberg langsam kaputt. Und wenn die Bonner umziehen, wird es wahrscheinlich mehr Polizei geben.

Friedrich Carl Sering, 66 Jahre, Rentner

Durch den Mauerfall hat Berlin für uns erheblich an Spannung verloren. Der Charakter der Stadt hat sich gründlich verändert. Das bedeutet nicht, daß ich die neue Stadt nicht begrüße. Es verändert sich vieles. Man muß alle halbe Jahre nach Berlin reisen, um den Anschluß nicht zu verlieren. Das neue Berlin ist aufregend, aber trotzdem doch nicht so anziehend, wie es vor dem Mauerfall war.

Boris Nitzl, 29 Jahre, Arbeitsloser

Ich halte nicht viel vom neuen Berlin. Riesige Paläste werden überall an der Friedrichstraße hingeknallt. Ich kann mir das gar nicht leisten, dort zu wohnen. Das ist für die Leute aus Bonn. Das liebste Berlin war für mich, als die Mauer noch stand. Da jetzt die Regierung unzieht, wird es vielleicht sauberer werden. Das heißt aber noch mehr Ordnungskräfte, Polizei und so. Außerdem wird alles teuer.

Öznur Albgrak, 29 Jahre, Krankenschwester

Seit einem Jahr kriege ich nicht viel mit wegen meiner kleinen Tochter. Ich glaube aber nicht, daß sich vieles geändert hat in der Stadt. In Berlin wurde immer gebaut. Daß die Regierung umzieht, merkt man an den Preisen. Besonders für die Wohnungen steigen sie. In Kreuzberg sind die Mieten inzwischen am teuersten. Bald werde ich hier genausoviel zahlen wie am Ku'damm.

Anselm Kroeger, 32 Jahre, Bauingeneuer

Berlin empfinde ich als unfreundlich und unschön. Ich lebe seit vier Monaten hier. Früher bin ich als Tourist in Berlin gewesen. Es war damals auch nicht schöner. Aber als Tourist merkt man das nicht so. Es gibt kein schönes Zentrum. Jetzt entsteht einiges Unter den Linden. Es tut sich was. Das kulturelle Angebot in Berlin ist fantastisch. Sonst hat Berlin nicht sehr viel an Attraktivität zu bieten.

Nino Ketschagmadse

Fotos: Anja Weber