Klagenfurt heuer
: Streckenweise besser als Thomas Mann

■ Knuffen im Literaturbetrieb: Thomas Kapielski las von der Liebe zum Scheitern

Schon nach der zweiten Lesung am ersten Tag des diesjährigen Bachmann-Literaturwettbewerbs drohten Dichter, Juroren, Verlagsvertreter und Journalisten ihre Bücher zusammenzupacken und Klagenfurt in Richtung einer nun allseits ungewissen Zukunft zu verlassen.

Die letzten Worte, die man von der Jurorin Radisch hören konnte, waren: „Ich komme mir auf eine tragische Weise albern und vergeblich vor.“ Und Thomas Hettche meinte: „Ich will jetzt erst mal schweigen.“ Und er schwieg, wie alle zunächst schwiegen, nachdem Thomas Kapielski mit seinem grandiosen Text „Baden-Baden“ dem „Idiotenbetrieb“, wie er es nannte, fein ironisch lächelnd einen nur wenig verzerrenden Spiegel vorgehalten hatte. Er beschrieb ein Jubelfest der großen Literaturfamilie in Baden-Baden, schrieb von „kurzen Strecken blitzgescheiter Gespräche“, „fünf Stunden warten und zwei Minuten quatschen“, von den „Begrüßungsfresserchen mit Fernsehfritzen“, unterbricht dann kurz seinen Vortrag, lächelt in die Kamera und sagt „liebe Zuschauer, das ist hier ganz ähnlich“ und liest so fort.

Kapielskis Text hatte eine so nachhaltige Wirkung, erstens weil hier „ein uns allen sympathischer Menschentyp“ (Juror Hardy Ruoss) als Erzähler fungiert und zweitens, weil dieser Erzähler, der sich Kapielski nennt, nicht denunziert, sondern das eigene Scheitern beharrlich mitthematisiert. Auch die fast schon lächerlich späte Teilnahme des 49jährigen Neuköllners an dem Talentwettbewerb Ingeborg-Bachmann-Preis erkennt er gern als eine besonders beachtenswerte Form des Scheiterns an: Wenn ich früh den Einstieg in den Lieraturbetrieb geschafft hätte, „bräuchte ich mich heute, mit fast fünfzig, nicht als debütierende Hochstirn auf verderbende Weise unter die Klagenfurter Jugend mischen und mich von Jury-Fuzzis durchleuchten lassen, die meine Nachkommen sein könnten.“

Diese „Jury-Fuzzis“ griffen dann, nachdem sie lange nichts sagen wollten, zu den allhöchsten Kategorien: „Streckenweise besser als Thomas Mann“ ist zu hören, Tucholsky fällt als Vergleich und unvermeidlich – „auch Goethe hat Kalauer geliebt“ wird bemerkt. Die Literaturgötter werden angerufen, um sich selbst wieder ins Recht zu setzen und den Kapielski doch wieder ganz klein aussehen zu lassen.

So reist man dann also doch nicht ab und ruft die nächst Dichterin herbei. Patricia Görg, die einen kunstvoll künstlichen Text über einen Museumswärter liest, der in den Bildern, die er bewacht, traumvoll versinkt und abends im Sofa von der Medienwirklichkeit der Gameshows endgültig verführt wird. Von der Farbe der Museumswände heißt es: „Es ist die Farbe, die Topfpflanzen annehmen, wenn sie vergessen haben, wo sie sind.“ Und der Tag beginnt mit den Worten: „Das Museum, freigelegt von der Ebbe des Morgens, wartet auf den Museumswärter Maat.“ Die Jury ist einhellig begeistert. Und man kann Kapielski gut verstehen, wenn er schreibt: „Ich wollte ja partout kein Romancier sein. Lieber wieder scheitern.“