■ Israels Luftwaffe fliegt Angriffe gegen Beirut
: Ungelegene Eskalation

Nachtreten ist auch in der israelischen Politik nicht unüblich. Amtsinhaber Netanjahu hat seinen gewählten Nachfolger Barak vor den Kopf gestoßen und ihn erst nachträglich von den Luftangriffen auf Beirut in Kenntnis gesetzt. So wird es derzeit in Jerusalem kolportiert. Netanjahu wäre das durchaus zuzutrauen. Auf jeden Fall trübt die jüngste militärische Eskalation die Aussichten auf einen raschen und vertretbaren israelischen Rückzugs aus dem Südlibanon. Den aber hatte Wahlsieger Barak versprochen, und zwar innerhalb eines Jahres.

Militäroperationen dieses Ausmaßes stimmt jeder israelische Premier mit der Armeeführung ab. Armeechef Mofaz drängte auf Vergeltung. Ein Katjuscha-Beschuß der nördlichen Grenzgebiete setzt in Israel jeden Premier unter Druck. Und dieser Beschuß ging zeitlich den israelischen Luftangriffen voraus. Die Hisbullah wiederum hatte mit ihren Raketensalven auf die Tötung einer Libanesin reagiert, die Opfer eines Angriffs der SLA-Truppen geworden war. Soweit das bekannte Muster.

Die Eskalation der Gefechte paßt zumindest der zukünftigen israelischen Regierung gar nicht in den Kram. Und für die noch amtierende macht sie wenig Sinn, selbst wenn man Netanjahu nicht ganz koschere Absichten unterstellt. Die Avancen, die Ehud Barak gegenüber dem Despoten von Damaskus gemacht hatte, waren nämlich dort auf erstaunlich wohlwollende Resonanz getroffen. Hafis al-Assad erklärte Barak gar zu einem „veranwortungsvollen Führer“, mit dem Abkommen, nicht zuletzt über eine Räumung der Golan-Höhen, möglich seien.

Die Tötung von Zivilisten ist eine Verletzung des Abkommens, das Israel und die Hisbullah 1996 nach der israelischen Operation „Früchte des Zorns“ vereinbarten. Dies ist unstrittig. Der Raketenbeschuß der israelischen Nordgrenze kann aber nicht als eine angemessene Reaktion der Hisbullah auf den Tod einer Zivilistin betrachtet werden. Üblich wäre in einem solchen Fall eine Beschwerde bei der multinationalen Überwachungskommission. Vieles spricht deshalb dafür, daß die jetzige Eskalation der Hisbullah alles andere als ungelegen kommt. Der Grund dürfte jedoch weniger die demonstrative militärische Stärke der Gotteskrieger sein, die von der israelischen Armee ja längst anerkannt ist. Hisbullah muß fürchten, einer israelisch-syrischen Verständigung zum Opfer zu fallen. Sie weiß, daß Assad nicht zögern wird, auch sie an die Kandare zu nehmen, wenn es in syrischem Interesse liegt. Georg Baltissen