Seuchen raffen Kongolesen dahin

■ Schlafkrankheit, Malaria, gefährliche Viren: Der Kongo-Krieg begünstigt die ungehinderte Ausbreitung von Tropenkrankheiten

Brüssel (taz) – Am meisten Opfer fordern in der Demokratischen Republik Kongo nicht die Kriegshandlungen und Massaker. Es sind die Epidemien, die in Folge der Unsicherheit ungehindert wüten.

Weltweite Beachtung fand im Mai eine Epidemie des Marburg-Virus, dessen Folgen dem des Ebola-Virus ähneln, im Nordosten des Kongo an der Grenze zum Sudan. Sie breitete sich über Monate hinweg unter Goldschürfern in dieser dünnbesiedelten Region aus und forderte 72 Tote. Dies aber sei „nur die Spitze des Eisbergs“, meint Marti Waals von der belgischen Hilfsorganisation „Medical mission Action“. Hätte der Virus auf eine Stadt übergegriffen, wie der Ebola-Virus auf Kikwit vor drei Jahren, wäre die Wirkung viel dramatischer gewesen.

Überall im Kongo fehlen Antibiotika, sterile Instrumente, Desinfektionsmittel und medizinische Schutzkleidung. Impfkampagnen gibt es kaum noch, ob auf Regierungs- oder auf Rebellenseite: Impfstoffe gibt es nicht; die Autos des medizinischen Personals wurden oft geklaut. Die Folgen sind dramatisch. An der Schlafkrankheit sterben jährlich 20.000 Kongolesen, sagt Simon Van Nieuwenhove, Zentralafrikaleiter der Weltgesundheitsorganisation WHO. Man sei auf das Niveau der 30er Jahre zurückgefallen. Von einem Fall pro 10.000 Einwohner zu Zeiten der Unabhängigkeit 1960 hat sich die Schlafkrankheit auf einen Fall pro 47 Einwohner ausgebreitet, sagt Kongos Ex-Gesundheitsminister Jean-Baptiste Sondji, ein bekannter Arzt. Sie sei von ihren Ursprungsgebieten im nordkongolesischen Regenwald bis weit in den Süden vorgedrungen. Marti Waals berichtet, die Kongolesen hätten vor der Schlafkrankheit inzwischen mehr Angst als vor Aids. Fliegenfallen gegen die Tsetsefliege – die effektivste Präventionsmethode – kosten zwar nur 20 Mark, sind aber im Kriegsgebiet nicht zu verteilen. Und während der Marburg-Virus binnen Tagen zum Tod führt, können Schlafkrankheitspatienten bis zu zehn Jahre am Leben bleiben und in dieser Zeit andere anstekken.

Am meisten wütet die Malaria, die im Kongo 50.000 Tote pro Jahr fordert – diejenigen nicht mitgerechnet, die mangels Zugang zu Ärzten zu Hause sterben. Die weitgehende Einstellung aller Impfkampagnen begünstigt auch die Ausbreitung von Typhus, Meningitis, Tuberkulose und Masern.

Eine Verschlimmerung der Lage ist absehbar. Seit Anfang Juni fehlt in der Hauptstadt Kinshasa und anderen Städten das zur Aufbereitung von Trinkwasser nötige Chlor, so daß mit Cholera gerechnet werden muß. Der Krieg führt auch zu Nahrungsmittelknappheit, obwohl der Kongo eines der fruchtbarsten Länder Afrikas ist. In Kinshasa haben sich die Preise für Grundnahrungsmittel in den letzten zwölf Monaten vervierfacht. Die Bewohner der Vier-Millionen-Stadt haben durchschnittlich nur noch 360 Gramm Lebensmittel pro Tag zur Verfügung – vor einem Jahr waren es 420 Gramm, das Überlebensminimum liegt bei 680 Gramm.

Auf dem Land ist die Lage nicht besser. Viele Bauern mußten vor Kämpfen in die Wälder fliehen, wo sie neuen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind. So ist eine von Schimpansen übertragene Pockenart dabei, sich im Nordwesten des Kongo auszubreiten, seit Bauern im Wald Affen zur Ernährung jagen. François Misser