Querspalte

■ Liebe Gemeinde,

„Auch wir haben Schuld auf uns geladen!“ Heute schlägt sich Margot Käßmann an die schmale Brust. Hat die Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages nicht recht? Ich selbst scheue mich nicht zu bekennen, Schuld zu tragen an Ihnen, Geschwister Leser. Manches Mal mußten sie an dieser Stelle üblen Unfug lesen. Ja, auch Margot Käßmann ist schuldig. Schuldig, bald Bischöfin werden zu wollen, und schuldig, eine Prinz-Eisenherz-Frisur durch Gottes schöne Schöpfung zu tragen. Das aber meint sie nicht. Wir alle seien „in Schuld verstrickt in der Frage des militärischen Engagements im Kosovo“. Nun, ich habe Belgrad nicht bombardiert, und meinen Nachbarn habe ich bis heute noch nicht beim Albanervertreiben erwischt. Wir haben sogar beide eine Regierung gewählt, die eigentlich gegen Kampfeinsätze war. Man weiß ja nie, aber ich glaube, auch die schuldbewußte Bischöfin in spe saß weder im Tornado, noch ist sie paramilitärisch organisiert.

Beim großen Kosovo-schuldig-Werden war Käßmann sowieso verhindert. Sie mußte zeitgleich den Kirchentag in Stuttgart organisieren. „Heimliches Motto“, laut Käßmann: „Kirchentag ist Zeitansage“. Wie spät war es denn heuer? 5 vor 12 scheint ein bißchen aus der Mode gekommen zu sein. High Noon, 12 Uhr mittags vielleicht? Zeit, einmal innezuhalten? Gute Zeiten, schlechte Zeiten? Eher sonntags, 18.40 Uhr, Lindenstraßen-Zeit. Zeitansagenmäßig sind die Protestanten viel flexibler als ihre scheinchristlichen katholischen Kollegen. Die evangelische Kirche ist immer auf der Höhe der gesellschaftlichen Diskussion. Im Frieden ist man für den Frieden. Im Krieg für den Krieg (aber schwer schuldig). In der DDR war Kirche im Sozialismus. Im Faschismus war Kirche deutsch. Trotz wechselnder Zeitansagen bleibt manches doch beim alten. „Der Gott ist madig“ überschrieb Brecht 1950 ein Gedicht, und wer hätte gedacht, daß es auch für feministische Bischöfinnen gilt: „Die Anbeter schlagen sich auf die Brust/ Wie sie den Weibern auf den Hintern schlagen/ Mit Wonne.“ Robin Alexander