Nach dem Krieg ist vor dem Elend

Mit der Aufhebung des Kriegszustandes können Militärs und Medien in Serbien erst einmal aufatmen. Für die Bevölkerung ändert sich wenig. Dafür treten soziale Probleme noch krasser zutage  ■   Aus Belgrad Andrej Ivanji

Wehrpflichtigen Männern in Jugoslawien fiel am Donnerstag ein ganzer Klotz vom Herzen. Jetzt, da das Bundesparlament den Kriegszustand für beendet erklärt hat, müssen sie nicht mehr fürchten, mobilisiert zu werden, und dürfen auch wieder ins Ausland reisen. Schon einberufene Militärs werden ihre Uniformen ablegen und endlich nach Hause gehen können. Doch zuerst soll das Vaterland bezahlen: Revoltierende Soldaten mehrerer Panzereinheiten blokkierten die Hauptstraßen in der Nähe der Städte Kraljevo, Kragujevac und Krusevac und forderten vom Staat die sofortige Auszahlung ihres Solds für 77 Kriegstage.

Auch unabhängige Medien können wieder aufatmen – vorerst zumindest. Denn mit dem Kriegsrecht ist automatisch die Kriegszensur aufgehoben. Der Gegensatz in der Berichterstattung der staatlichen und unabhängigen Medien in Serbien könnte krasser nicht sein. Während die einen vom Sieg sprechen und der Massenrückkehr der Serben ins Kosovo, schildern die anderen die katastrophale Niederlage Serbiens, stellen peinliche Frage nach der Verantwortung und berichten über den fortwährenden Exodus der Serben aus dem Kosovo.

Für die Bevölkerung bedeutet das offizielle Ende des Kriegszustandes lediglich die amtliche Bestätigung, daß ihnen keine Bomben mehr auf den Kopf fallen – sonst nichts. Denn an die rosige Zukunft, die die jugoslawische und serbische Regierung versprechen, glaubt ohnehin niemand mehr. Die während des Krieges vernachlässigten wirtschaftlichen und politischen Probleme verlangen eine Lösung, die soziale Not klopft bedrohlich an die Tür des durch die Nato-Angriffe zerstörten Landes. Der Zustand in der Föderation zwischen Serbien und Montenegro ist unhaltbar.

Nicht zuletzt deshalb äußerte die Demokratische Partei (DS), Vorsitzender Zoran Djindjic, die Befürchtung, die herrschende Mehrheit im Bundesparlament könnte eine ganze Reihe von repressiven Kriegsverordnungen einfach in Gesetze verwandeln. Beschränkungen der Bürgerrechte würden so auch nach dem Krieg weiter gelten, mit der Begründung, sie seien für einen schnellen Wiederaufbau des Landes unentbehrlich. Natürlich sei die „einzige Motivation des Regimes, unter allen Umständen an der Macht zu bleiben“, verkündete Djindjic.

Der Vizepräsident der DS, Zoran Zivkovic, kündigte Massendemonstrationen in Serbien an. Man müsse alle „zivilen, demokratischen und menschlichen Möglichkeiten ausschöpfen“, damit Slobodan Miloevic bis zum 1. September von der politischen Szene für immer verschwinde.

Konkrete Maßnahmen für den Wiederaufbau des Landes haben die serbische und die von der Teilrepublik Montenegro nicht anerkannte jugoslawische Bundesregierung bislang nicht angekündigt. Zumal die EU und vor allem Amerika eine finanzielle Unterstützung Serbiens von einer Demokratisierung des Landes, wirtschaftlichen Reformen und dem Rücktritt des vom Den Haager Kriegsverbrechertribunal angeklagten Präsidenten Miloevic abhängig machen. Als kleinen Anreiz dafür setzten die USA am Donnerstag ein Kopfgeld in Höhe von 5 Millionen Dollar zur Ergreifung von Miloevic und anderen mutmaßlichen Kriegsverbrechern, wie Radovan Kardaic, aus.

Zur Erklärung des serbischen Ministerpräsidenten, Mirko Marjanovic, Serbien würde den Wiederaufbau auch ohne ausländische Hilfe schaffen, bemerkte die Sozialdemokratischen Union: „Das ist der Höhepunkt des Zynismus und der Demagogie.“ Alles in allem bringt das Ende des Krieges in Jugoslawien eine ganze Reihe von alten und neuen Problemen auf die Tagesordnung. Dem Land steht ein unruhiger Herbst bevor.