„Das Denkmal wird lebendig sein“

■ Andreas Nachama, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, lobt die Debatte zum Mahnmal. Er hofft, daß die gestrige Entscheidung des Bundestages für den Eisenman-Entwurf weit in die Zukunft hinein tragen wird

taz: Herr Nachama, haben Sie die Bundestagsdebatte zum Holocaust-Mahnmal im Fernsehen verfolgt?

Andreas Nachama: Ja, das habe ich.

Warum eigentlich?

Ich denke, wenn diese Debatte um die richtige Form der Erinnerung an die Ermordung von sechs Millionen jüdischen Männern, Frauen und Kindern im Bundestag geführt wird, ist das schon eine Sache, die die Jüdische Gemeinde und ihren Vorsitzenden in Berlin angeht und in höchstem Maße interessiert.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, hat häufig gesagt, er wolle sich zu dem Mahnmal nicht äußern, weil dies doch eigentlich eine Sache der Nichtjuden sei.

Richtig, die müssen es entscheiden. Aber daran Anteil nehmen, sich anhören, was da vorgetragen wird, das tut jeder, der in diesem Lande lebt und Staatsbürger ist, wenn ihn das so interessiert, wie mich das interessiert. Ich mache das nicht bei jeder Bundestagsdebatte.

Welcher Beitrag in der Bundestagsdebatte hat Sie besonders überzeugt?

Ich fand insbesondere die Eröffnungsrede von Wolfgang Thierse, der nicht als Bundestagspräsident geredet hat, sehr eindrucksvoll, weil er alle Positionen dargestellt hat und seine Präferenz deutlich machte. Ich denke, sie wird eingehen in die Annalen des Bonner Parlaments.

Was halten Sie denn vom den nun beschlossenen Entwurf Peter Eisenmans, wonach es ein Feld von 2.700 Stelen geben soll?. Und als Ergänzung soll noch ein kleiner Pavillon des Gedenkens errichtet werden.

Das Wichtigste an der Bundestagsentscheidung sind drei Dinge: zum einen, daß man sich überhaupt entschlossen hat, so ein Denkmal zu errichten. Zweitens, daß man eine Stiftung gegründet hat, die sich um das Entstehen und den Betrieb des Denkmals kümmern wird – und damit ist sichergestellt, daß das Denkmal ein lebendiges sein wird. Und drittens war es wichtig, eine Konsequenz aus einer langen Debatte und den vielen Argumenten, die es gegeben hat, zu ziehen. Auch hier ist ein aktives Element dabei mit diesem Erinnerungs- und Informationspavillon. Das halte ich für eine auch in für die Zukunft tragfähige Entscheidung.

Aber ein Hauptargument gegen Eisenman war ja immer, es könnte zu monströs sein, nicht schlicht genug.

Aber die Größe ist nicht die Frage, sondern es wird darum gehen, daß das, was da entsteht, überzeugend ist.

Ein Hauptargument für den Schröder-Entwurf war: Da wird der Kern der jüdisch-christlichen Tradition noch mal deutlich, er sei schlicht und gerade deshalb besonders wirksam. Können Sie das nachempfinden?

Ich habe mich zu den Gestaltungsfragen nie geäußert – das war einer der wenigen Punkte, wo ich mich mal in die Debatte eingeschaltet habe. Auf hebräisch: „Lo tirzach – Du sollst nicht morden“ kann eigentlich nicht Gegenstand der Sache sein, denn wer kann das lesen? Das können die Israelis und die Juden lesen und vielleicht noch die Theologen, und damit ist eigentlich die Zielgruppe verfehlt, die es lesen soll, nämlich Herr und Frau Jedermann.

Sind Sie froh, daß es überhaupt eine Entscheidung gibt? Man könnte ja auch sagen, daß die Debatte das eigentlich Wichtige ist.

Die Debatte war ein Denkmal auf Zeit. Das ist richtig, aber Berlin ist eben nicht Bonn: Wer nach Bonn gekommen ist, der hat sofort gesehen: Er ist in der Hauptstadt der Verlierer des 2. Weltkrieges. Wenn man von London oder Moskau oder Madrid in dieses verträumte Dörfchen am Rhein gekommen ist, dann hat man das gesehen: Dieses Kleine, Bescheidene, das war das Denkmal. Aber das ist jetzt in Berlin nicht mehr der Fall. Deshalb ist wahrscheinlich so ein Denkmal für die Mehrheitsgesellschaft von so großer Bedeutung.

Ein Argument gegen den Eisenman-Entwurf unter anderem von Eberhard Diepgen war, es bestehe die Gefahr, daß es beschmiert wird durch Nazis oder Skinheads und dabei die Wirkung verlorengeht.

Aber es kann sich doch der Deutsche Bundestag nicht von irgendwelchen Graffiti-Schmierern oder Ewiggestrigen vorschreiben lassen, was er bestimmt.

Was halten Sie von dem offensichtlichen Mißfallen Diepgens am Eisenman-Entwurf? Man hat den Eindruck, daß er das ganze Mahnmal nicht haben möchte –und wenn, dann so klein wie möglich.

Was soll man dazu sagen? Ich kenne ja Diepgen seit langen Jahren. Er ist jemand, der nicht dem Vergessen das Wort redet. Er ist offenbar einer Überzeugung, die meiner zuwiderläuft, daß das mit dem Eisenman-Entwurf nicht funktionieren kann. Wir werden ihn alle dort eines Besseren belehren müssen.

Aber er sagt, daß die Mehrheit der Berliner gegen den Eisenman-Entwurf sei – glauben Sie das auch?

Ich habe eher den Eindruck von den vielen Zuschriften, die ich kriege: Es ist eine große Beteiligung da, die Menschen denken darüber nach. Und das bei einem so unerhörtem Ereignis wie der Shoah. Da ist es klar, daß man nicht sofort sagt, dieser Entwurf ist es, sondern daß man sich davon erst mit der Zeit und mit dem Entstehen überzeugen lassen muß – das finde ich, ist keine Schande.

Wenn es denn eines Tages steht, das Mahnmal: Werden Sie dann mit Ihren Kindern dort hingehen?

Tja, schwer zu sagen. Ich denke schon, daß ich da hingehen werde.

Was werden Sie dann sagen: Werden Sie an die qualvolle oder doch zumindest sehr lange Diskussion erinnern?

Die Diskussion ist ein Denkmal für sich gewesen. Sicher werden wir darüber sprechen. Aber ich glaube, das ist dann irgendwann Geschichte.

Interview: Philipp Gessler