Ziemlich dicke Luft in Texas

Gouverneur George W. Bush, der Sohn des Ex-Präsidenten, nennt die Umweltpolitik eine der Errungenschaften seiner Amtszeit. Er setzt dabei auf freiwillige Schritte der Industrie – eine höchst fragwürdige Strategie  ■   Aus Houston Peter Tautfest

Hier hat jemand dem Jahrhundert des Motorrads ein Monument gesetzt: im Land's Cycle Shop an der Interstate 10 unmittelbar außerhalb von Houston, Texas. Im Vorraum des großen Anwesens verkauft Karla Land auch neue Motorräder, ihr eigentliches Reich aber sind der kathedralenartig aufragende Schuppen hinter dem Ausstellungsraum und der Hof des Areals.

Hier türmen sich, sorgfältig nach Bauteilen getrennt, die sterblichen Überreste aller Motorradgenerationen. Ein schmaler Pfad führt durch Berge von Gabeln, Lenkern, Rahmen, Achsen. Hier findet man Motorräder jeder Bauart, auch drei- und vierrädrige in jedem erdenklichen Stadium der Demontage. Karla redet alle Leute mit „dear“ oder „honey“ an.

Ihr blasses, aber ungesund aufgedunsenes Gesicht verrät, daß sie, wie viele hier, an rätselhaften Krankheiten leidet. An die größte Schlacht ihres Lebens denkt sie mit Wehmut und Resignation zurück: „Es begann vor zehn Jahren, als ich nach einem Platz für unseren Motorradhandel suchte“, erinnert sie sich. Das Anwesen hier direkt an der Ausfahrt nach Channelview, einem Ort, der seinen Namen von dem Labyrinth von Buchten und Flußarmen hat, die der San Jacinto River beim Einmünden in den Golf von Mexiko bildet, schien ideal.

Kurz vor Vertragsunterzeichnung aber hörte sie, daß unweit von hier eine Giftmüllverbrennungsanlage gebaut werden sollte. „Das Wort incinerator hatte ich noch nie gehört.“ Als sie gegenüber der Maklerin Bedenken anmeldete, brachte die zur Vertragsunterzeichnung Kay Crouch mit, die Leiterin der Firma Envirotech, die die Anlage bauen wollte: Von einem Incinerator gehe nicht die mindeste Gefahr aus, versicherte die Managerin ihr.

Karla Land kaufte das Grundstück, blieb aber mißtrauisch und tat sich mit einer Gruppe pensionierter Damen zusammen, die Zeit zum Recherchieren hatten. Es entstand eine Graswurzelbewegung gegen die Müllverbrennungsanlage. „Wir haben Material gesammelt und gelernt, was ppm (parts per million) sind, Barbecues veranstaltet und Unterschriftenlisten ausgelegt, einen Anwalt angeheuert – dabei ist dies keine reiche Gemeinde – und unsere Abgeordneten aufgesucht.“

Am Tag der Entscheidung fuhren sie mit sechs Bussen von Houston in die Staatshauptstadt Austin. „Wir ahnten nichts Gutes, als sich die Wandelgänge des Capitols mit Polizisten füllten. Wir legten unsere Gutachten vor und erläuterten sie. Ein alter schwarzer Herr hatte seine Weltkriegsmedaille mitgebracht“ – Karla muß unterbrechen und schlucken. „Er hielt sie dem Commissioner hin. Er war bereit, sie an der Baustelle zu vergraben, wenn dafür die Anlage nicht gebaut würde.“

Doch die Anlage wurde genehmigt – gebaut aber wurde sie nie, denn den Erbauern wurden mit der Baugenehmigung Auflagen gemacht, die die Kosten ins Immense steigerten. In den folgenden Jahren suchte und fand die Industrie andere Verfahren zur Giftmüllbeseitigung.

Das alles war 1993, besser ist die Luft in Channelview und Houston seither nicht geworden. Auch LaNelle Anderson gehört zu den Großmüttern, um die sich damals die Opposition in Channelview scharte. Ihre Mutter war an Knochenkrebs gestorben, ihr Vater an Emphysemen. Sie hat Asthma, und ihre Kinder leiden an rheumatischer Arthritis.

In Houston kann jeder bauen, was und wo er will

Aus Channelview ist sie vor Jahren weggezogen, weil sie nicht zusehen wollte, wie ihre Familie litt. Noch heute aber macht sie für Interessenten Rundfahrten am Schiffskanal entlang und durch die petrochemische Hölle in und um Houston. Was sich dem Auge bietet, wenn man über eine der Brükken um Houston fährt, sieht aus wie das Kraftwerk der Verdammnis. Vor einem von Purpur bis Schwefelgelb changierenden Horizont ragt eine Skyline aus Destillationsanlagen und riesigen Tanks auf.

Houston kennt keinen Flächennutzungsplan. „Hier kann jeder bauen, was und wo er will“, erläutert LaNelle Anderson das eigenartige Gemisch von Slums, botanischem Garten und Industriegebiet. Auch in Channelview, einem aus der üppigen Sumpfvegetation aufgeschossenen Städtchen, wechseln schöne Landhäuser mit verfallenden Wohnmobilen und Baracken ab. Dann steht man unverhofft vor einem petrochemischen Werk, das aus der grünen Hölle hervorzubrechen scheint. Channelviews Reiz war, daß man unter der üppigen schattenspendenden Vegetation die Kühle genießen konnte, doch als die petrochemische Industrie sich entlang den Wasserwegen ansiedelte, verfielen die Bodenpreise.

In ihrer Jugend ist LaNelle im Kanal noch Wasserski gelaufen, doch seit 1984 gilt das Wasser als hochgradig verseucht und der San Jacinto als giftigster Fluß der Vereinigten Staaten. „Kein Schild warnt davor, und die Immigranten aus Mexiko, die hier auf billigem Land ihre wackligen Hütten bauen, bessern bis heute ihren Lohn durch Fischfang auf und fangen Welse im buntschillernden Wasser. 1994 brannte ein ganzer Abschnitt des San Jacinto“, sagt sie.

Vor ein paar Tagen hat der Gouverneur von Texas, George W. Bush, der Sohn des ehemaligen Präsidenten, zwei Gesetze zur Luftreinhaltung unterzeichnet. Der Gouverneur, der seit einer Woche selbst Präsidentschaftsbewerber ist, präsentiert sich nun als Schützer der Umwelt. Zum Entsetzen seiner konservativen Unterstützer hat er sogar zugegeben, daß der Treibhauseffekt ein ernstes Problem sei.

Rick Abrahams jedoch, dessen Organisation „Texans United“ damals zusammen mit Leuten wie Karla Land und LaNelle Anderson die Kampagne gegen die Müllverbrennungsanlage organisierte, lacht bitter über Bushs halbherzige Luftreinhaltungsgesetze. Im April wurde Rick in Austin auf dem Gehsteig vor der Residenz des Gouverneurs festgenommen, als er Flugblätter verteilte. Selbst die sonst regierungsfreundliche Lokalpresse hatte er auf seiner Seite.

Als Texas 1971, den Auflagen eines Bundesgesetzes folgend, gesetzliche Regelungen verabschiedete, wurden bereits bestehende oder im Bau befindliche Werke ausgenommen. „Großväter“ nannte man diese, weil man davon ausging, daß sie in absehbarer Zeit durch neuere mit besserer Filter- und Verbrennungstechnik ersetzt werden würden.

Heute, fast 30 Jahre später, pusten die sogenannten Großväter fast eine Million Tonnen Schwefel- und Stickoxide, Ozon, Kohlenmonoxid und Aerosole pro Jahr aus ihren Schloten – doppelt soviel wie die neun Millionen Kraftfahrzeuge, die heute in Texas zugelassen sind. In sieben texanischen Counties gehen eine Viertelmillion Kinder in Schulen, die weniger als zwei Meilen von schadstoffausstoßenden Industrieanlagen entfernt sind.

Die schmutzigste Stadt in den USA ist Houston

Seit dem Amtsantritt von Gouverneur Bush hat sich die Luftqualität in den großen Städten von Osttexas, wo 75 Prozent der Texaner leben, verschlechtert. Die dikke Luft trübt sogar die Aussicht im abgelegenen Big Bend National Park an der Grenze zu Mexiko. Houston ist die schmutzigste Stadt der Vereinigten Staaten, kein anderer US-Bundesstaat produziert soviel Luftverschmutzung wie Texas. Eine der ersten Anordnungen von Gouverneur Bush aber war die Abschaffung eines landesweiten Systems für Emissionskontrollen bei Autos. Als das Umweltministerium in Washington Texas dafür eine Strafe von 140 Millionen Dollar aufbrummte, wollte Bush die zunächst aus dem Fonds für Kindertagesstätten nehmen.

Bush ordnete auch an, daß die texanische Umweltbehörde ihre unangemeldeten Überprüfungen von Werken einzustellen hat. Ein von Bush befürwortetes Gesetz bestimmte hingegen, daß die Umweltbehörde für Schäden haftbar gemacht werden kann, die ihre Auflagen verursachen, sofern sie zu einer Wertminderung des Anlagekapitals führen.

Das Geld für diese Schadenersatzleistungen kommt aus dem Haushalt der Umweltbehörde. „Das motiviert die Mitarbeiter der Aufsichtsbehörde natürlich ungemein“, sagt Pete Emerson vom Environmental Defense Fund in Austin sarkastisch dazu.

Gouverneur Bushs neuerwachter Eifer bei der Schließung der Schlupflöcher im Luftreinhaltungsgesetz geht auf eine Drohung der Bundesregierung zurück, Gelder für den Straßenbau zurückzuhalten, wenn Texas weiterhin unter den Emissionsstandards der US-Umweltbehörde (EPA) bleibt. „Bush präsentierte hier ein Programm, das forderte, daß die Industrie sich freiwillig bestimmten Grenzwerten unterwerfen sollte“, erinnert sich Rick Abrahams. „Das sollte der goldene Weg zur Luftreinhaltung sein: Emissionsminderung ohne staatliche Regulierung.“

Was im texanischen Parlament schließlich verabschiedet wurde, war ein Kompromiß, der – je nach Standpunkt – faul oder tragbar ist. Die Kraftwerke müssen ab 2001 die Emissionsstandards erreichen, die petrochemischen Werke aber zahlen erst ab 2003 pro Tonne Emission eine Strafe, die jedes Jahr steigt. Empfindliche Strafen sagen die einen, Betriebskosten, die auf den Konsumenten abgewälzt werden, die anderen.

Der Schlüssel zum Kompromiß ist nicht Bushs Integrationsfähigkeit – „Ich kann mit Industrie und Umweltgruppen, mit Demokraten und Republikanern zusammenarbeiten“, lobt er sich auf seinen Wahlveranstaltungen –, sondern das System der Wahlkampf- und Parteispenden. Surprise, Surprise: Die „dreckigen Dreißig“, wie Public Research Works, eine unabhängige Forschungsgruppe in Austin, die größten Stinker von Texas nennt, spendeten in den vergangenen sechs Jahren 3,2 Millionen Dollar für die Wahl von Bush und ihnen genehme Abgeordnete. 300.000 Dollar Wahlkampfspende nahm Bush allein in diesem Halbjahr von Firmen wie Alcoa, Amoco, Arco, Enron, Dow Chemical, Exxon, Gulf States und Union Carbide entgegen.

Das Pikante daran ist, daß nach texanischem Recht Politiker während der Tagungsperiode des texanischen Parlaments eigentlich keine Spenden entgegennehmen dürfen – immerhin wurde bis 31. Mai just jenes Gesetz beraten, das die neuen Emissionsstandards festlegen sollte –, Bush aber erhielt die Spenden nicht als Gouverneur von Texas, sondern als Präsidentschaftsbewerber der Republikaner.

Karla Land hat heute resigniert und glaubt nicht mehr, daß man etwas gegen die wachsende Luftverpestung in Channelview machen kann. LaNelle Anderson will jetzt mit den von der Industrie eingerichteten Bürgerberatungsgruppen zusammenarbeiten. Sie glaubt, nur in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit der Industrie etwas erreichen zu können. Rick Abraham aber von „Texans United“ führt selbst den erzielten schwachen Kompromiß der neuen Umweltgesetze auf die Aktivitäten seiner Gruppe zurück.