Kaschmir ist Spielball der pakistanischen Politiker

Die USA versuchen im Kaschmir-Konflikt zu vermitteln. Für Pakistan ist es ein gerechter Krieg  ■   Aus Lahore Bernard Imhasly

Die USA haben am Wochenende ihre Vermittlungsbemühungen zwischen Indien und Pakistan verstärkt. US-Präsident Bill Clinton will sich pakistanischen Angaben zufolge persönlich einschalten. Es gebe Vorbereitungsgespräche für ein Treffen Clintons mit Pakistans Ministerpräsidenten Nawaz Scharif, sagte der pakistanische Armeechef General Pervez Musharraf am Samstag nach Gesprächen mit einer US-Delegation. Sie reiste inzwischen nach Indien. Eine Annäherung der Konfliktparteien war nicht zu erkennen, die Kämpfe im Kaschmir gingen weiter.

Indien spielte den Besuch des US-Diplomaten Gibson Lanpher herunter. Delhi will eine Internationalisierung des Konflikts vermeiden, Islamabad genau dies erreichen. Scharif will heute nach China reisen, das auch einen Teil Kaschmirs kontrolliert. Indien ist erst dann zu Verhandlungen bereit, wenn die aus Pakistan eingedrungenen Kämpfer abgezogen seien. Pakistans Armeechef Musharraf gestand erstmals indirekt eine Beteiligung Pakistans ein, als er sagte, Pakistan werde sich „nicht einseitig zurückziehen“.

In der pakistanischen Stadt Lahore erhält ein junger Computerfachmann Beifall, als er die pakistanische Sicht schildert: „Seit zehn Jahren sickern Mudschaheddin über die Kontrollinie ins indisch besetzte Kaschmir. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Indern.“ Dieses Jahr war es wieder so. Die Mudschaheddin öffneten neue Wege in der Kargil-Region, die Inder merkten es, der Kleinkrieg begann. Doch geändert hatte sich aus Pakistans Sicht die Situation nicht in Kaschmir, sondern in Delhi. „Die Regierung ist gefallen. Es gibt Neuwahlen. Die nationalistische BJP braucht ein Wahlkampfthema. Die Luft- und Bodeneinsätze in Kargil sind die beste Wahlpropaganda für die BJP!“

Der „Geist von Lahore“ – die Annäherung der verfeindeten Nachbarn nach dem hiesigen Treffen der beiden Premiers im Februar – ist gerade in dieser Stadt wieder fern. Ein pensionierter Oberst bezeichnet die Reise von Indiens Premier Atal Behari Vajpayee in diese Stadt als indische Falle, in die Pakistans Scharif getappt sei und aus der er sich nun befreie. Daß die Reise Scharifs Idee war, wird ausgeblendet.

Lahore ist eine Frontstadt, die bei jedem bisherigen Krieg im Zentrum der Bedrohung indischer Panzer und Kampfjets stand. Viele Flüchtlinge aus Srinagar leben hier, die meisten Widerstandsorganisationen haben hier Büros und Ausbildungslager. Ja, es bestehe kein Zweifel, sagt der Vertreter einer regierungsunabhängigen Organisation, daß die Regierung die Mudschaheddin fördert. Der Geheimdienst kenne sich da aus – er habe ja schon in Afghanistan die Mudschaheddin gegen die Sowjets organisiert. Für Pakistaner eine Selbstverständlichkeit. Sie sehen die Unschuldsbeteuerungen ihrer Regierung nur als notwendige diplomatische Fassade.

Daß Islamabad ein gefährliches Spiel spielt, gibt man offen zu. Die Journalistin Beena Sarwar sagt, das Kriterium der Rekrutierung sei die Religion, nicht die kaschmirische Herkunft. Damit werden die Mudschaheddin auch im Inland zum Machtfaktor. „Doch dies“, ergänzt die Chefredakteurin der Tageszeitung The News, Kamila Hyat, „ändert nichts daran, daß Kaschmir eine Region ist, die für ihre Selbstbestimmung kämpft. Darüber herrscht Konsens in Pakistan“. Und wie lange soll der Konflikt noch weitergehen? „Gegenfrage: Wie alt ist der britisch-irische Konflikt?“

Indien sieht in der pakistanischen Kaschmir-Fixierung ein Relikt der Geschichte, das Pakistans Politiker und Militärs auskosten, um von aktuellen Problemen abzulenken. Regierungskritische Pakistaner sind mit dem zweiten Teil der Behauptung einverstanden: „Ja, es ist ein Spielball der Politiker. Aber es ist auch eine echte Volksbewegung“, sagt Hyat. Sie habe Verständnis für die Linie der Regierung, die lautet, Kargil sei nur ein Symptom für den weiteren Kaschmir-Konflikt. Es gibt aber auch Gegenstimmen. Ein Leserbrief in der Zeitung Dawn meint, Solidarität mit den Kaschmirern sei gut, aber es sei auch wichtig, die Kosten abzuschätzen. Die früheren Kriege mit Indien hätten nur Trauer gebracht. I. A. Rahman von der Nationalen Menschenrechtsorganisation sagt, die „abenteuerliche Aktion“ der Armee habe militärisch wenig gebracht und sei diplomatisch ein Debakel, weil sich die indische Sicht durchgesetzt habe. „Es ist ein Bärendienst für die gute Sache.“