Mehr als 50.000 Serben geflohen

■  In vielen Städten des Kosovo entlädt sich der Haß der Albaner nach ihrer Rückkehr in Vergeltungsaktionen. In Mitrovica mußte UÇK-Führer Thaci persönlich schlichten

Berlin (taz) – Nur die Intervention von Hashim Thaci, des selbsternannten Premierministers des Kosovo, konnte am Samstag eine blutige Konfrontation verhindern. Hunderte von albanischen Demonstranten versuchten in der Stadt Kosovska Mitrovica im französischen Sektor des Kosovo eine Sperre französischer KFOR-Soldaten zu durchbrechen.

Sie wollten über die Brücke über den Fluß Sitnica in den serbischen Teil der Stadt gelangen. Dort hatten die Ärzte, die den Zug anführten, im Krankenhaus gearbeitet, jetzt wollen sie ihre Jobs zurück. Andere protestierten gegen ihre Vertreibung aus Häusern im serbischen Teil der Stadt. Sadako Ogata, die UN-Hochkommissarin für Flüchtlinge, beschrieb die Situation in der Stadt als „tickende Zeitbombe“.

Der Fluß trennt den Ort in zwei Hälften. Wer in Kosovska Mitrovica in den vergangenen Monaten das Sagen hatte, ist deutlich zu sehen. Nur der albanische Teil des Ortes ist verwüstet, serbische Häuser und Geschäfte stehen unberührt da.

Südlich des Flusses, im albanischen Stadtteil, sind viele Häuser vollkommen zerstört, die Geschäfte geplündert. Vor allem die Moschee hat einiges abbekommen. Das Minarett droht jeden Moment zusammenzubrechen.

Die französischen Soldaten stellten sich dem Demonstrationszug in den Weg, und Thaci kletterte auf einen ihrer Jeeps. „Wir wollen unsere Probleme friedlich lösen!“ flehte er die erboste Menge über Megaphon an. Diesmal war er erfolgreich, doch in den Tagen zuvor konnten KFOR-Soldaten nicht verhindern, daß das Romaviertel von Mitrovica verwüstet wurde. In den Augen der Albaner waren die Roma Kollaborateure der serbischen Soldateska.

Am Wochenende plünderten Kosovo-Albaner auch in zahlreichen anderen Orten, darunter Priština, Zegra, Veriq und Belo Polje, serbische Häuser und Wohnungen und zündeten sie an. Geschäfte von Serben wurden geplündert und verwüstet. Italienische KFOR-Soldaten fanden am Sonntag die Leiche einer Serbin in einem von Albanern niedergebrannten Haus in Belo Polje in der Nähe von Pec. Albaner schleppten aus dem Ort alles Tragbare weg: Möbel, auch Fensterrahmen und das Vieh.

Die jugoslawische Nachrichtenagentur Beta berichtete am Samstag, die serbischen Professoren der Universität von Priština hätten die Stadt in einem Konvoi von 40 Fahrzeugen verlassen, nachdem vor wenigen Tagen auf dem Universitätsgelände drei Leichen gefunden worden waren.

Unbekannte haben in der Nacht zum Sonntag auch das serbische Informationszentrum in Priština geplündert. Eindringlinge schlugen die Tür ein und schleppten dann Computer, Telefone und Faxgeräte aus den zwei Büroräumen. Das Informationszentrum war am Samstag geschlossen, weil die Angestellten wie Hunderte von anderen serbischen Flüchtlingen Priština seit dem Beginn der KFOR-Mission verlassen haben. Das Zentrum war von den serbischen Behörden im April 1998 gegründet worden und arbeitete auch während der Nato-Bombardements weiter.

Angesichts der blutigen Racheakte im Kosovo, die schon mehr als 50.000 Serben zur Flucht aus dem Kosovo veranlaßt haben, hat General Wesley Clark, der Nato-Oberbefehlshaber in Europa, gefordert, die KFOR-Einheiten im Kosovo möglichst rasch auf die geplante Stärke von 55.000 Mann aufzustocken. Erst dann könne die Sicherheit in der gesamten Provinz gewährleistet werden, sagte der General, der die Vergeltungsaktionen gegen serbische Wohnviertel kritisierte: „Die Nato-Operation richtete sich gegen ethnische Säuberungen, und die Allianz kann und wird sich nicht für eine weitere Runde solcher Schikanen hergeben.“

In den Köpfen mancher zurückkehrender Albaner spuke der Wunsch nach Rache: „In Erwartung dieser Gefahren ist KFOR besonders bemüht, Truppen in Gebieten mit serbischer Bevölkerung zu stationieren und auch alle serbischen religiösen Stätten zu schützen“, schrieb Clark in einem Zeitungsbeitrag.

UN-Generalsekretär Kofi Annan hat am Sonntag gefordert, Jugoslawien auf jeden Fall beim Wiederaufbau zu helfen, ob Slobodan Miloševic Staatspräsident bleibt oder nicht. Er widersprach damit den USA und anderen westlichen Staaten, die dies bislang ausgeschlossen haben. „Wir haben gesagt, daß wir nicht gegen das jugoslawische Volk kämpfen“, erklärte Annan in einem Interview mit dem Fernsehsender BBC. „Wir müssen sicherstellen, daß die Serben, die in gewisser Weise Opfer ihrer eigenen Führung wurden, nicht zweimal bestraft werden.“

Auf dem G-8-Gipfel in Köln herrschte noch Uneinigkeit, wie Jugoslawien geholfen werden soll. Während die USA und Großbritannien erklärten, es werde nur humanitäre Hilfe geben, erklärten andere Länder, dazu könne auch der Wiederaufbau von Kraftwerken und wichtigen Verkehrsverbindungen gehören. Humanitäre Hilfe müsse in einem weiten Sinne geleistet werden, sagte Annan, wozu auch die Wiederherstellung der Wasser- und Stromversorgung gehöre. sf