Kommentar
: Parteichinesisch des 21. Jahrhunderts

■ Das grüne Realo-Papier ist modernistisch

Wer wissen will, wie es gerade um die Ökologie in diesem Land bestellt ist, der muß sich nur den verlegen grinsenden Jürgen Trittin ansehen. Der Pazifismus hat sich nach dem Kosovo-Krieg auch erledigt, und mit der ewigen Jugend ist es sowieso nicht mehr weit her. Mittendrin die Grünen – grau, ratlos, ohne Orientierung. Zu besichtigen ist eine Generationenpartei, die daran denkt, daß sie vielleicht doch sterblich ist. In so einer Situation kann es nie verkehrt sein, wenn jüngere grüne Politiker den Achtundsechzigern in ihrer Partei das verstaubte grüne Projekt um die Ohren hauen.

Vieles, was Berninger, Özdemir und die anderen in ihrem Strategiepapier schreiben, ist durchaus richtig. Sie brechen in einem Punkt radikal mit der politischen Philosophie ihrer grünen Mütter und Väter: Für sie ist die grüne Partei eine Partei wie jede andere und nicht mehr das ganze Leben. Sie fordern einen Politikstil, der die Menschen nicht mit den unerfüllten Utopien von gestern nervt, sondern pragmatisch und realistisch ist. Für die Jungen sind dabei Individualisierung, Teilzeitarbeit und Flexibilisierung kein Teufelszeug aus der Folterkammer von Guido Westerwelle, sondern Teil ihrer Lebenserfahrung. Sie sehen darin keine Gefahr, sondern die Chance, soziale Sicherheit unter Berücksichtigung der individuellen Freiheit neu zu definieren. Das alles klingt irgendwie vernünftig – aber nur irgendwie. Der Modernisierungstheoretiker Ulrich Beck wird an dem Papier mehr Freude haben als Joschka Fischer.

Vieles darin ist einfach nur modern formuliert, aber in Wirklichkeit inhaltsleer. Was die jungen Realos perfekt beherrschen, ist das Parteichinesisch des 21. Jahrhunderts. Wie werden die Grünen denn, um die Hunderttausenddollarfrage aufzuwerfen, zu einer staatstragenden, liberalen Partei des neuen Bildungsbürgertums, ohne die FDP zu kopieren? Und was passiert mit denen in der Partei, die mehr wollen als nur grünen Pragmatismus? Die jungen grünen Abgeordneten erweisen sich als guterzogene Kinder derer, die sie so hart kritisieren. Sie sind Politprofis mit dem Talent zur Ideologisierung und dem Hang zur Rechthaberei.

Nach der Lektüre ihres Papiers wünscht man sich noch eine ganz andere Abrechnung. Wie wäre es mit einem Pamphlet der 20- bis 25jährigen Grünen gegen die Stromlinienförmigkeit ihrer zehn Jahre älteren Parteifreunde? Jens König