Notbremse gegen seelischen Absturz

■ Der christliche Notfallseelsorger kommt: Wer Angehörige durch Unfall oder Selbstmord verliert, steht nicht mehr alleine da.

Bremen schwimmt gegen den Strom. Während die Bundesregierung gerade versucht, das Anspruchsdenken der BürgerInnen nach Rundumversorgung von der Wiege bis zur Bahre in Grenzen zu weisen, deckt die Hansestadt sogar noch Versorgungslücken auf – und stopft sie. Aktuelles Beispiel: die Notfallseelsorge für plötzlich verwaiste Menschen.

Das neue Beistandmodell startet offiziell am Donnerstag und soll Menschen in Krisensituationen künftig Gespräch und Unterstützung bieten. Nach dem Unfalltod oder dem Selbstmord von Angehörigen beispielsweise. Helfen wollen katholische und evangelische SeelsorgerInnen, ehrenamtlich und rund um die Uhr. Vorausgesetzt, die polizeilichen und medizinischen Einsatzkräfte vor Ort rufen sie. „Es ist ein professionelles Angebot“, heißt es. Wer nicht will, dem werde niemand zum seelsorgerischen Gespräch auf die Pelle rücken. Auch spiele Konfession keine Rolle.

„Wir kümmern uns um unnormale Situationen, in denen Menschen ganz normal reagieren“, beschreibt Polizeipastor Peter Walther die Idee der Notfallseelsorge, die Bremen nach dem Vorbild anderer Städte aufgebaut hat. Noch koordiniert er selbst den Einsatz der bislang zwölf christlichen SeelsorgerInnen, die Tag und Nacht auf Abruf bereit stehen werden. Auch ihn sollen sie entlasten. In heiklen Fällen mußte er oft selbst ausrücken. Nicht immer war er – wie vergangene Woche, als er auf dem Kirchentag in Stuttgart war – greifbar. „Kein schönes Gefühl“, erinnert er sich.

Allerdings werden die neuen Nothelfer nicht in jeder Lage einspringen. „Für allgemeine seelische Krisen sind wir nicht zuständig“, heißt es. Typisches Einsatzfeld wird jedoch das Überbringen von Schreckensnachrichten sein, sowie der einmalige Beistand in den ersten Stunden danach. Außerdem sollen die Seelsorger zu Situationen gerufen werden, die aus verschiedensten Gründen oft menschlich schiefliefen; der nächtliche Einsatz in der Wohnung eines Renternehepaares beispielsweise. „Stellen Sie sich vor, der Mann kippt um, seine Frau alarmiert den Notarzt, Blaulicht, vier Leute stürmen in die Wohnung, reißen die Arztkoffer auf ...“, beschreibt Feuerwehrmann Karl-Heinz Knorr den Rettungseinsatz wie einen Überfall, bei dem Angehörige am besten Deckung suchen. Denn wo Profis x-fach Wiederbelebungsversuche starten, stören verzweifelte Angehörige. „Um die kümmerte sich niemand“, registrierten die Helfer vielfach mit schlechtem Gewissen. Wenn sie künftig abziehen, können sie beruhigt sein: Der Seelsorger würde bleiben, bis die Bestatter den Partner der letzten 60 Jahre aus der Wohnung tragen. Und auf Wunsch auch länger. „Der Fall ins Bodenlose, diese stille Katastrophe im Alltag“ soll abgemildert werden, sagt auch Noch-Sozialsenatorin Christine Wischer. Ihr Haus war am Erarbeiten des Hilfenetzes beteiligt – nicht zuletzt weil dort Hinterbliebene um Rat nachsuchten.

Vertreter der 30.000 bremischen Muslime beobachten das neue Hilfs-Instrumentarium mit seiner christlichen Belegschaft derweil irritiert. „Ich hätte es gut gefunden, wenn mindestens ein Muslim dabei wäre“, sagt der Sprecher der Fatih-Moschee, Abdul Kerim Sari. Aber er habe davon nur aus den Medien erfahren. „Die Muslime sind für viele Menschen noch nicht angekommen.“ Dabei habe es in Vergangenheit durchaus Zusammenarbeit mit dem Gröpelinger Polizeirevier gegeben. „Da haben wir die Nachricht vom Tod zweier Söhne überbracht“, sagt Sari. „Ich glaube, wir Muslime – oder sagen wir Südländer – sind vorsichtiger im Überbringen solcher Nachrichten.“ ede