Mit Platon auf der Gummisäule

■ Sinnliches Philosophieseminar und schwindelerregender Bilderbogen: „Metamorphosis“ von Wlodzimierz Staniewski

Eine Truppe buntgekleideter Leuten wirbelt aus einem schlichten Holztor in der sonst mit weißem Stoff ausgeschlagenen Matthäikirche am Kulturforum. Ein kurzes Percussionsgewitter mit Gesang, dann erstarrt die Szene zum Gruppenporträt: Neun Dorftrottel beiderlei Geschlechts blikken reichlich debil unter zerbeulten Hüten und bunten Kopftüchern ins Publikum, verschwinden und kehren in rasender Geschwindigkeit zurück, jetzt allerdings weiß gewandet und mit wachen, verjüngten Gesichtern – mit feierlichen Texten, die natürlich auf keinen Fall feierlich wirken sollen.

Auf dem Stumpf einer wankenden Gummisäule schaukeln zwei Philosophen und reden über die Liebe, englisch radebrechend, aber trotzdem Platon pur. Da sind wir dann schon mitten im Stück „Metamorphosis“ von Wlodzimierz Staniewskis „Centre For Theatre Practices“, das aus dem Städtchen Gardzienice im äußersten Osten Polens zum „Theater der Welt“ gekommen ist.

Ein kurzes Stück, eine knappe Stunde nur, und hinterher ist auch der Zuschauer ziemlich atemlos. Ein getanztes, gesungenes, mit rasanter Sinnlichkeit präsentiertes Philophieseminar über die Verwandlung der antiken in die christliche Kultur, ein schwindelerregender Bilderbogen. Dancing like Dionysos and suffering like Jesus, sagt einer, und da trägt schon ein dornengekrönter Leidensmensch einen Pfahl über die Bühne. Der Pfahl wird zum Kreuz, an das er geschlagen ist. An einem langen, abendmahlgeeigneten Tisch dahinter singen Frauen antike Hymnen und spielen seltsame Instrumente: ein indisches Harmonium, nie gesehene Saiteninstrumente und Trommeln. Neben der Christusfigur tanzt wüst ein bocksfüßiger Dionysos mit Lorbeerkranz.

Es gibt wilde lateinische Gesänge, deren Texte wahrscheinlich nicht mal mein Lateinlehrer kannte, so tot waren sie schon. Hier plötzlich leben sie, entfalten ein furioses Eigenleben, werden geatmet, geschrien, gestampft oder wunderbar vielstimmig gesungen. Die Männer – halb Derwisch, halb Bauerntrampel. Die Frauen mit wehenden Haaren und weißen Gewändern: manchmal Megären, manchmal verzückte römische Priesterinnen oder durchgedrehte Novizinnen. Am Schluß stehen wieder wie gefroren die bunten Bauern mit ihren zu Masken erstarrten Gesichtern da, als wäre nichts gewesen. Aber da war was! Riesenbeifall! Esther Slevogt

Heute, 22 Uhr, in der Matthäikirche am Kulturforum. Vom 2. bis 4. 7.: „Centre For Theatre Practices“ mit „Kosmos Gardzienice“ ab 21 Uhr in der Parochialkirche