Kritik an gewaltsamen Abschiebungen

■  Präsident der Ärztekammer appelliert an Ärzte, nicht an gewaltsamen Abschiebungen mitzuwirken: „Das ist Körperverletzung.“ Einstweilige Verfügung gegen Abschiebung eines Nigerianers wurde gestern abgelehnt

Scharfe Kritik an gewaltsamen Abschiebungen von AsylbewerberInnen hat gestern Ärztekammerpräsident Günther Jonitz geäußert. „Alle Maßnahmen, bei denen Zwang angewendet wird, sind Gefahr für Leib und Leben“, sagt er gegenüber der taz. „Es ist nicht ausgeschlossen, daß beispielsweise durch Fesseln solche Schäden hervorgerufen werden, daß der Abzuschiebende sterben kann.“ Jonitz reagierte damit auf die Äußerung von Innenminister Otto Schily (SPD). Dieser hatte am Wochenende gesagt, daß abgelehnte AsylbewerberInnen nach dem Tod des Sudanesen Ageeb vor einem Monat – dieser war mit einem Motorradhelm „ruhiggestellt“ worden – wieder abgeschoben werden können. Bei der Anwendung körperlicher Gewalt sei dafür zu sorgen, daß „eine unbeeinträchtigte Atmung“ gewährleistet sei.

Gestern sollte auf dem Flughafen Schönefeld der Nigerianer Ikye Njoku bereits zum zweiten Mal abgeschoben werden. In Nigeria war er aktives Mitglied der Oppositionspartei und wurde dort mehrmals gefoltert. Nach Angaben der Initiative gegen Abschiebehaft wird Njoku, der „panische Angst vor einer Rückkehr“ habe, keinesfalls freiwillig ausreisen.

Jonitz sagte, daß es nicht die Aufgabe von Ärzten sei, „Leute, die nicht abgeschoben werden möchten und nachweislich an Krankheitssymptonen leiden, mit Psychopharmaka“ ruhigzustellen. Das sei „Körperverletzung“. Der Ärztekammerpräsident übte auch Kritik am Polizeiärztlichen Dienst, der entscheidet, ob Menschen in Abschiebehaft „reisefähig“ sind, also abgeschoben werden können. In mehreren Fällen hätten niedergelassene Ärzte und Polizeiärzte „sehr widersprüchliche Angaben über den gesundheitlichen Befund von Asylbewerbern gemacht“. Bei solchen Diskrepanzen solle erst einmal nicht abgeschoben werden, rät Jonitz. Er betonte jedoch, daß die Ärztekammer einen humaneren Umgang mit Asylbewerbern nicht „anordnen“ könne. „Wir können nur mahnen.“

Wie die Abschiebepraxis am Flughafen Schönefeld tatsächlich aussieht, ist nicht klar. Die Innenverwaltung war gestern nicht zu einer Stellungnahme zu erreichen, der Bundesgrenzschutz (BGS) wollte sich nicht äußern. Nach Angaben einer Mitarbeiterin des Flughafen-Sozialdienstes werden die AsylbewerberInnen direkt vom Abschiebegefängnis Grünau in ein gesondertes Gebäude des BGS auf dem Flughafen gebracht und von dort in die Maschine. Zugang zu diesen Gebäude habe der Sozialdienst nicht. Ob Njoku gestern tatsächlich abgeschoben wurde, war bis Redaktionsschluß unklar. Eine einstweilige Verfügung wurde gestern abgelehnt.

Julia Naumann