Ring frei für grünen Richtungsstreit

■ Das Papier der „Zweiten Generation“ wird vom linken Flügel als Kampfansage verstanden – jetzt will man nicht länger stillhalten

Bonn (taz) – Der gestrige Tag begann für den Bundesvorstand des Grün-Alternativen Jugendbündnisses (GAJB) mit einem Schock. Alle Daten waren aus dem Computersystem verschwunden. Die Jugendorganisation der Grünen hat ihren Hauptsitz im Wahlkreisbüro Joseph Fischers. Ein junger Grüner murmelte etwas von „Sabotage“.

Aber was ihm und seinen Altersgenossen in der Frankfurter Zentrale an diesem Tag endgültig die Stimmung vermiest hat, ist das Papier der „Liberalos“, wie sie hier abschätzig genannt werden. Matthias Berninger und Cem Özdemir haben zusammen mit etwa 40 Grünen aufgelistet, was ihnen am Kurs ihrer Partei nicht paßt.

„Eine klare Kampfansage an die FDP“ soll, so fordern sie, das neue Grundsatzprogramm der Grünen sein, das ab Herbst diskutiert werden soll – und das Berninger & Co. mit ihrem Papier jetzt endlich auf den Weg bringen wollen. Nach der letzten Zerreißgefahr beim Bielefelder Parteitag stoßen die „Modernisierer“ in eine Situation, die sich gerade normalisieren wollte. Der Kosovo-Krieg ist vorerst zu Ende, das Sparpaket verschickt und eine Entscheidung zur Atomenergie vertagt.

Die Reaktionen kamen prompt. Christian Simmert, jugendpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, sagt voraus, daß diese Grundsatzdebatte „ein großer Streit“ wird, „der sich über die Sommerpause hinziehen kann“. Der linke Flügel werde sich dabei allerdings nicht aus der Partei mobben lassen, „schon gar nicht von einer Minderheit“. Denn nach Ansicht Simmerts (27) sowie anderer junger Grüner sind Berninger (28) und seine Kollegen nur eine Handvoll Karrieremacher, die den Mainstream ausgrenzen und mit ihrem „dünnen Papier“ Boden in Schröders Neuer Mitte gutmachen wollen.

Während Fraktionschef Rezzo Schlauch und Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer das Papier erwartungsgemäß begrüßten, bemängelte Vorstandssprecherin Gunda Röstel die wenig konkrete Ausführung. Zwar gehöre „der moderne Liberalismus, den die FDP weggeworfen hat, auch zu unserem Spektrum“, aber man müsse greifbare Inhalte diskutieren, um sich verständigen zu können. Verständigung bedarf Vertrauen. Von dem Vertrauensverhältnis unter Grünen indes, das die selbsternannte „Zweite Generation“ um Berninger und Özdemir in ihrem Papier beschwört, scheint wenig vorhanden. Vorstandssprecherin Antje Radcke warnte gestern sogar vor einer Spaltung der Partei. Vor knapp zwei Jahren gab es einen ähnlich umstrittenen Vorstoß. Damals hießen die Urheber bei ihren Parteifeinden noch „Realos“. Mit dem „Start 21“-Papier wirbelten sie durch provozierende Thesen weit weniger Staub auf als heute. Vieles wurde in Einigkeit gegen Kohl geschluckt und gärte unausgesprochen weiter.

Die immer noch Linken bei den Grünen wollen jetzt nicht mehr stillhalten. Mehr als „Start 21“ wird das neue Papier als Startschuß für eine harte Auseinandersetzung begriffen. Und den Anspruch der „Zweiten Generation“, für die Interessen der Jungen zu stehen, weist ein Protagonist im linken Flügel bitterböse zurück: „Die wollen die Definitionshoheit jetzt auch bei den Jüngeren. Denen geht es darum, die Fraktion zu übernehmen, um eine schnittige Karrieristenpartei zu schmieden.“ Sebastian Sedlmayr