■ Vor zehn Jahren ließ Milosevic serbischen Nationalismus auf dem Amselfeld auflodern. Heute hat er verspielt. Zehntausende Serben flohen aus dem Kosovo und verfluchen ihn. Forderungen nach Rücktritt werden drängender
: „Wer ist schuld? Milosevic!“

Seit die jugoslawischen Armee- und Polizeikräfte mit ihrem Rückzug aus dem Kosovo begonnen haben, verlassen in ihrem Schatten auch andere Menschen die Provinz – serbische Zivilisten aus den Kriegsregionen.

Dabei sind diejenigen, die mit den Kolonnen der Streitkräfte Belgrads gefahren sind, im Vorteil. Viele Familien, die alleine gereist sind, haben den Weg ins Mutterland über Bergpfade zurückgelegt, um Zusammenstöße mit zurückkehrenden Albanern oder UÇK-Kämpfern zu vermeiden.

Die Kolonnen, die jetzt in den zentralserbischen Städten Kragujevac und Kraljevo stehen, bestehen zum größten Teil aus Traktoren und anderen landwirtschaftlichen Fahrzeugen mit Anhängern, auf denen offensichtlich hastig zusammengesuchte private Besitztümer gestapelt liegen.

Für diejenigen Flüchtlinge, die genug Benzin haben, ist Kraljevo die erste Anlaufstation in Serbien. Sie berichten, die serbische Polizei habe sie aufgefordert, ihre Heimatorte zu verlassen, und ihnen pro Familie 20 Liter Benzin gegeben. Mehr sollten sie dann später kriegen.

Jetzt schlafen die meisten Flüchtlinge in den Stadtparks oder auf der Straße – Plätze in den wenigen Flüchtlingslagern Serbiens sind Mangelware und nach wie vor von serbischen Flüchtlingen aus Bosnien und Kroatien belegt.

An der Tankstelle am Ortseingang warten die Memarevics aus Belo Polje auf das versprochene Benzin zur Weiterfahrt. Familienoberhaupt Zdravko trägt eine Polizeiuniform.

„Bis hierher sind wir vier Tage unterwegs gewesen“, berichtet der 50jährige, der geradewegs vom Arbeitsplatz aus ins Flüchtlingsleben aufgebrochen ist. „Wir hatten keinen Schutz, die Polizei und die Armee haben sich zurückgezogen, wie konnten wir da bleiben? So wahr mir Gott helfe: Die hätten uns geschlagen, wenn nicht gegrillt, wenn wir geblieben wären. Wenn ich gewußt hätte, daß das so läuft, hätte ich unsere Sachen bei Zeiten in Sicherheit gebracht. Jetzt mußte ich alles zurücklassen: Die Maschinen, das Saatgut, das Vieh ...“

Zdravkos Frau mischt sich ein: „Am Abend zuvor haben sie uns gesagt: Die Polizei wird evakuiert, packt schnell, ihr müßt umziehen. Dann haben wir kostenlos ein paar Liter Benzin gekriegt, und dann hieß es: Jetzt aber los! Der Polizeichef war schon weg, der Richter, auch der Chef der Kreisverwaltung.“ Sie beginnt zu weinen: „Aber wo sollen wir jetzt hin? Die haben alle Autos, und wir hatten nur unsere Straße und unsere Kinder. Wir hatten nicht vor, das Kosovo zu verlassen, obwohl wir Probleme mit den Albanern hatten, mit den Terroristen. Alle meine Brüder sind gefallen.“ Tagelang sei ihr Dorf von der Nato bombardiert worden, berichtet sie weiter.

„Wie können sie uns jetzt, nach all der Angst, einfach sagen: Packt zusammen? Als ihr Journalisten gekommen seid, haben sie uns sogar aufgefordert, woanders hinzugehen. Damit ihr nicht seht, wie hier mit Serben umgegangen wird.“ Im Zentrum von Kraljevo, im Park beim Hauptbahnhof, campen die insgesamt 55 Mitglieder der Familie Pejcinovic schon seit fünf Tagen unter freiem Himmel.

Die ganze „Sippe“, wie sie sich selbst nennen, ist aus dem Dorf Djurakovic – „aus Serbien“.

Radisav Pejcinovic, Arbeiter, Vater von sieben Kindern und – wie er betont – seit den Zeiten des Partisanenkrieges Mitglied der kommunistischen Partei, sagt: „Die Nato kann mir keine Sicherheit garantieren, die unterstützen doch die UÇK und die Albaner. Erst vor ein paar Tagen haben sie mich verprügelt. Und jetzt, wo unsere Polizei und das Militär sich zurückziehen, soll ich bleiben? Die Frauen und Kinder können nicht gegen die UÇK kämpfen.“

Und: „Schuld ist unsere Regierung, unsere Führung. 500 Jahre lang haben die Türken versucht, uns Pejcinovics von unserem Berg zu vertreiben. Geschafft haben sie es nicht, wir haben sie nicht mal ins Dorf gelassen. Jetzt lebt in Metohijen kein einziger Serbe mehr.“

Großmutter Milka Praske sitzt mit ihren vier Enkeln vor dem Anhänger auf dem Parkplatz vor dem Flüchtlingslager in Adrani, nicht weit von Kraljevo. „Wir hatten albanische Nachbarn, mit denen wir uns gut verstanden haben“, sagt sie, „daß wir umziehen müßten, daß haben wir nicht geahnt. Wer daran schuld ist? Nur Milosevic, Schande über ihn. Wir alle waren für ihn, aber er war nicht für uns Kosovo-Serben. Er hat unser Land für ein paar Dollar verkauft.“

Mirsad Tilic, Kraljevo

(Übersetzung aus dem Serbokroatischen: RR)

„Wir hatten keinen Schutz. So wahr mir Gott helfe, die hätten uns geschlagen, wenn nicht gegrillt, wenn wir geblieben wären“