Wanderung mit tödlichem Ende

■ Noch immer ist unklar, warum Thüringer Polizisten einen Kölner Wanderer erschossen

Erfurt (taz) – Wanderer, kommst du nach Thüringen – nimm dich vor der Polizei in acht! Anderenfalls ergeht es dir wie dem 62jährigen Kölner, der sich nach des Tages Strecke im nordthüringischen Heldrungen betten wollte. Dann wurde seine Wanderung jäh beendet: Die Polizei erschoß ihn. Irrtümlich.

Mit drei Millionen Zuschauern ist die MDR-Sendung „Kripo live“ eine der erfolgreichsten auf den dritten Programmen. Verbrechen und Verbrecher werden hier vorgestellt. Detektiv ist das Publikum, das von Polizei und Redaktion zur tätigen Mithilfe animiert wird. So auch am vergangenen Sonntag: Da flimmerte das Fahndungsfoto des 56jährigen Dieter Zurwehme über die Mattscheibe, der nach seinem Gefängnisausbruch vier ältere Menschen in Remagen erstochen haben soll. Der äußerst gefährliche Mann, erklärte die Kripo Dessau, könne sich in Sachsen-Anhalt aufhalten. Ein Zuschauer aus Nordhausen wußte etwas: Er wollte den Mann mit Rucksack und Spazierstock im Kyffhäuser umherwandernd gesehen haben. Abgestiegen sei er im Hotel „Zur Erholung“.

Vier Beamte machten sich daraufhin in der Nacht zum Montag ins Hotel nach Heldrungen auf. Der Wirt geleitete die Zivilpolizisten noch bis zum Zimmer des Wanderers. Dann zog er sich dezent zurück. Was jetzt geschah, ist nicht ganz klar. Nach Version eins sollen zwei Beamte durch die Tür geschossen und den Kölner dort niedergestreckt haben. Nach Version zwei hätte der Wanderer seine Tür geöffnet, die Polizisten in ein Handgemenge verwickelt und nach einer Dienstwaffe gegriffen, worauf sich die Beamten – natürlich – wehrten. Fest steht, daß einer der beiden Schüsse den Wanderer mitten ins Herz traf.

Neue Erkenntnisse zum Tathergang sind von der Polizei nicht zu bekommen. Die Beamten schweigen, sie machen von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Die Erfurter Staatsanwaltschaft erklärte, bei dem Wanderer seien keinerlei Waffen gefunden worden. Nur ein Spazierstock. Gegen die beiden Schützen leitete die Saatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung ein. Außerdem wurden sie vom Dienst suspendiert. Eine kriminaltechnische Untersuchung soll klären, welcher Beamte der Todesschütze war. Thüringens Innenminister Richard Dewes bedauerte inzwischen den Tod des Mannes. Mehr als einen „bedauerlichen Unglücksfall“ wollte er allerdings nicht einräumen. Auch „Kripo live“-Moderatorin Birgit von Derschau erklärte, die Redaktion habe sich keine Vorwürfe zu machen. Der tragische Tod habe nichts mit dem Sendekonzept zu tun. Nick Reimer