Ersticktes Orakel

Der Crossdresser und Schmerzensmann Tricky erfindet sich im HipHop neu  ■ Von Holger in–t Veld

Wieviel Irritation erträgt der Mainstream? Wieviel will er? Wie dehnbar sind die Klammern musikalischer Funktionalität? Darf Tanzen weh tun? Wo im Körper sitzt der Groove? Was macht Tricky in der unendlichen Suburbia von New Jersey? Adrian Thaws, geboren in einem Vorort von Bristol, musikalisch sozialisiert durch HipHop und Wave, erste Öffentlichkeit auf Massive Attacks alles initiierendem Album Blue Lines, Crossdresser, Schmerzensmann, Neuerer, Nuschler, Künstler, bestens eingeführt als Schnittmenge aus Goldies unberechenbar-berechenbarer Konfrontationshaltung und der selbstzerstörerischen Opulenz von Polly Jean Harvey. Mit Schminke und Kostüm einen Status als Outlaw zementierend, auf den ihn seine lädiert-krankhafte, animalische Stimme festschreibt.

Ein Organ, um das ihn alle Morbiden beneiden und das ihn zur Intensität drängt. „Ich bin kein Sänger und kein Rapper“, schnarrt er, „vieles von dem, was live passiert, ist Ausdruck meiner Frustration darüber. Es gibt Worte, die ich mitteilen möchte, es aber nicht richtig kann.“ Also steht Tricky als drängender Schatten im Hintergrund, aggressiv, expressiv und sich um Ausdruck windend. „Ich finde es hart. Von daher wundert es mich nicht, daß es einige Leute auch so empfinden.“ Und sie finden es hart und kathartisch, schön und schmerzvoll, wenn es darum geht, Atmosphäre ohne Gemütlichkeit zu errichten. Mehr noch als seine Platten sind Trickys Konzerte fortwährender Exorzierungen einer Begrifflichkeit wie TripHop. Er ist viel mehr Präsenz als Produzent oder Stimme, ein beständiges Versprechen, ein halbersticktes Orakel der schwarzen Poesie. Und ein eindeutig europäisches Modell.

Dergestalt festgezurrt ist Trickys jetziger Schritt zumindest in Bezug auf die noch möglichen Irritationen folgerichtig. Seit mehr als einem Jahr lebt und produziert er in den und für die USA und hat dafür nach einer Tiefseetour mit Gangstergeschichten jetzt die Szene und die Musik gewechselt. Der Neubeginn heißt Juxtapose, Nebeneinanderstellen, und beschreibt sich damit gut. Zu hören ist die heterogenste, offenste und, nachdem mit Maxinquaye die Sprache gesetzt war, irritierendste aller Produktionen. Ein Bastard aus seinen bedeckten Grooves, Beats der elektroiden HipHop-Frühzeit und dahingeworfenen Keyboard-Läufen mit einer Vielzahl neuer Stimmen. Tricky, umgeben von strahlender Transparenz. Die Narration folgt.

Für sein neues Ziel mit und gegen HipHop zu kämpfen verzichtete der Künstler auf Zweideutigkeiten, wird Aktivist für ein sozial verträgliches Leben jeneseits der Medien. „For Real“, das erste Stück ist diesbezüglich zentral. „Du bist nicht echt. Du nimmst deinen Plattenvertrag zu wichtig.“ Zack, bumm. Auch wenn er nicht der erste ist, der das sagt, hat Tricky als europäischer Zuwanderer doch eine ungünstige Position für seine Attitude-Kritik. Zudem ist die HipHop-Gemeinschaft nicht eben für ihren spielerischen Umgang mit den Geschlechterrollen bekannt. Mit Maskerade, zudem weiblich konnotierter, Lippenstift und Kleidern geht da wenig. Passend also, daß Tricky rechtzeitig zum anvisierten Einstieg in die heterosexistische Szene seine eigene „Realness“ entdeckt. „Auf dieser Platte siehst du mich ganz normal, street, kein Make-Up.“

Die Dunkelheit ist zumindest Zwielicht geworden, in Zahlen bemeßbarer Ehrgeiz und familiäre Verantwortung haben die Kunst in Form gebracht. Zurück auf den Bühnen Europas heißt das aber erstmal nichts. Hier wird weiterhin verzweifelt um das Leben geröchelt, umringt von ein paar neuen Musikern, die es einen Voodoo-Gig nennen. „Mit mir gehen sie an Orte, wo sie noch nie waren“, sagt Tricky und erinnert daran, welche Sprache, welche Einsicht auch mit neuem US-Einfamilienhaus und im neuen musikalischen Nebeneinander seine geblieben ist.

Mo, 5. Juli, 20 Uhr, Große Freiheit