Blutsauger von nebenan

Aus der Nacht in die Nachbarschaft: Der Vampirismus breitet sich aus. Begleitend zu den aktuellen Produktionen präsentiert das Zeise weitere Höhepunkte des Genres  ■ Von Oliver Rohlf

Weltbürger Dr. Van Helsing. Die Kinogeschichte hat den hageren Wissenschaftler in seiner Eigenschaft als berühmtesten aller Vampirjäger in die entlegensten Winkel der Erde geschickt, um seiner Berufung zu folgen: Töten für das Gute. Darin kennt der Mann mit dem schwarzen Köfferchen keine Grenzen oder Sprachbarrieren. Und selbst als Van Helsings ewiger Widersacher Dracula ins ferne China entfleucht, sind Hammer und Holzpflock schnell gepackt. Immerhin gilt es zu verhindern, daß der transsilvanische Teufel – nun als taoistischer Priester getarnt – mit seiner Privatarmee Kung-Fu-kämpfender Untoter allzu blutigen Unfug anstellt.

Was sich hier wie ein Salto-Mortale-Stilmix liest, ist exakt so über die Leinwände gebraust, als sich die Produzenten der britischen Hammer Filmstudios Mitte der 70er mit einer schwindenden Fangemeinde konfrontiert sahen und das siechende Gothic-Genre mit dem bumsfidelen Martial-Arts-Lager verbandelten und Zahn und Luftsprung per Handkantenschlag zu bösen Brüdern erklärten. Die sieben goldenen Vampire von Auftragsregisseur Roy Ward Baker liegt Puristen noch heute schwer im Magen und dreht den allgemeinen Wandel, den das klassische Horror-Genre schon ab Mitte der 60er vollzogen hatte, noch einmal weiter. Weg vom Nacht-und-Nebel-Alptraum hin zu neuen sozialen Systemen. Im Zweifelsfalle darf dafür sogar eine ganze Kampfsportart herhalten.

Eine Crossover-Tendenz, die sich bis zu John Carpenters dieser Tage anlaufenden Vampires durchgeschlagen hat. Nach The Lost Boys in den 80ern und Rodriguez' anmaßender Kult-Klamotte From Dusk Till Dawn knallt nun der Horror-Veteran seinen neuesten Reißer auf die Leinwand. James Woods spielt darin einen Armbrust-bewaffneten Neo-Van-Helsing, der sich den Attacken der Vampire ausgesetzt sieht, als diese nach Jahren der Ruhestörung die Faxen dicke haben und den Spieß umdrehen.

Im zweiten Teil der Vampir-Reihe zeigt das Zeise-Kinos Filme, in denen das Grauen nicht länger wie ein okkultes Donnerwetter über die normale Welt hereinbricht, sondern seit Urzeiten unter uns weilt und das Feld quasi von innen her aufrollt. Nur daß es bislang kaum jemand bemerkt hat. Bis auf die Opfer natürlich. Die Sensation des neuen Vampirs liegt weniger in seinem unerwarteten Auftauchen als im Wissen, daß es ihn gibt und daß uns sein Grundcharakter so fremd gar nicht ist.

Martin zum Beispiel ist eigentlich ein junger Mann von nebenan, der berechtigterweise des vampirischen Mordes verdächtigt wird und wild gegen sein Ende ankämpft. Zombie-Regisseur George A. Romero versuchte in seinem Werk 1976 vergleichsweise erfolglos, das Grauen aus der Nacht in die Nachbarschaft zu verlegen. Das wirklich Bemerkenswerte an dem seltsam traurigen Film sind die handwerklich beeindruckenden Spezialeffekte von Mastermind Tom Savini.

In Stephen Norringtons Comic-Adaption Blade hingegen gibt Action-Tornado Wesley Snipes den vampiristischen Bastard in Digitalformat. Bei der Geburt wurde Blades Mutter von einem Blutsauger gebissen. Seitdem trägt er den Makel in sich, ein supernaturales Halbblut zu sein, der seine untoten Pappenheimer genauestens kennt und sie wie ein exorzierende Terminator bekämpft. Die Eröffnungsszene, in der Blade gleich einen ganzen Blutsauger-Nightclub klarmacht, gehört mit Sicherheit zur blutigsten Sequenz des letzten Jahres. Vampirjagd als rasender Videoclip.

Tief im urbanen Moloch ist auch Abel Ferraras Schwarz-weiß-Opus The Addiction von 1995 verwurzelt. Gesichts-Stoiker Chri-stoper Walken wandelt darin als eloquenter Wiedergänger durchs nächtliche Ghetto, um einer Neueinsteigerin die Umziemlichkeiten des menschlichen Wesens vorzudozieren, während sie sich per Nadel frisch gestohlenes Blut intravenös injiziert. Das Drug-Meets-Flesh-Drama pocht überdeutlich auf das thematische Koordinationssystem aus schwindender Lebenskraft, Genußsucht und ausbeuterischer Großstadt und konkretisiert seinen Entwurf von der urbanen Lebensfeindlichkeit in der Person des menschenfeindlichen Ästheten Walken.

Eine weitere Variante des Vampirismus führte übrigens die letzten Monat angelaufene Produktion Die Weisheit der Krokodile von Po-Chih Leong vor. Da geht es um den verzehrenden Charakter von Liebe und Blutsaugerei als deren zerstörerischer Fetisch. Der englische Arzt und Vampir Steve treibt ein grausames Spiel mit Begehren und Destruktion und sammelt Schicksale wie Andere Fußballbilder. Die armen Geschöpfe, die sich in den lakonischen Unhold verlieben, sterben einen emotionalen Tod. Was bleibt, ist eine kleine Ampulle mit dem Blut der Opfer, versehen mit einer Aufschrift ihrer Eigenschaften. Ein Archivar, grausamer als alle Kung-Fu-Zombies dieser Welt.

Blade: Mo, 4. bis Mi, 7. Juli, 22.45. The Addiction: Mo, 11. bis Mi, 13. Juli, 22.45 Uhr. Martin: Mo, 18. bis Mi, 20. Juli, 22.45 Uhr. Die sieben goldenen Vampire: Mo, 25. bis Mi, 27. Juli, 22.45 Uhr, Zeise