Erste Reaktion: „Hängt ihn höher“

■ Brandanschläge gegen türkische Geschäfte reißen neue Kluft zwischen Vernunft und Gefühl / Polizei ruft zu Wachsamkeit auf

Brandanschläge auf drei bremisch-türkische Reisebüros sorgen für schlechte Stimmung unter türkischstämmigen BremerInnen. In der Nacht auf Mittwoch, wenige Stunden nach dem Todesurteil gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan, waren die Läden mit Molotow-Cocktails in Brand gesetzt worden. Nach Zeugenhinweisen nahm die Polizei gestern zwei 19 und 20 Jahre alte Männer „ausländischer Herkunft“ als verdächtige Brandstifter fest. In ihrem Wagen soll auffälliger Benzingeruch geherrscht haben. Mit Benzin durchtränkte Handschuhe seien sichergestellt worden. Die beiden sollen heute vor den Haftrichter.

Opfer der Attacken sind drei Reisebüros in Bremen-Nord – eins davon in der Gerhard-Rohlfs-Straße, eins auf dem Lobbendorfer Pohl und ein weiteres in der Mühlenstraße. Dieses Geschäft war bereits im Februar, während einer Anschlagserie nach der Gefangennahme des PKK-Chefs, von Unbekannten angezündet worden. „Das letzte Mal standen die Tische noch, jetzt ist alles kaputt“, sagt die Tochter der geschädigten Ladeninhaberin Nurten Harman. Diese habe davor gewarnt, den kurdisch-türkischen Konflikt nach Deutschland zu holen. Wie im Februar konnten sich die Mieter über dem Laden retten. Auch an anderen Brandorten blieben HausbewohnerInnen unverletzt.

„Die deutschen Gesetze sind zu locker“, heißt es jetzt vielerorts. Auch der honorige Ex-Betriebsrat der Stahlwerke, Mustafa Karabacak, dessen Gröpelinger Laden im Februar brannte, und der danach dennoch für friedliches Miteinander plädiert hatte, reagiert heute ungehalten. „Die Polizei läßt die Leute wieder laufen.“ Die Ermittlungen gegen zwei schweigsame verdächtige Kurden im Zusammenhang mit dem Feuer in seinem Geschäft dauern noch an. Derweil haben türkische Moscheen in Eigenregie Wachdienste rund um die Uhr organisiert. „Sowas machen Privatleute nicht“, sagt Aslan Karak, Geschäftsführer im gestern ausgebrannten Familienbetrieb Kartal-Aslan. Dort schauten gestern viele KundInnen und Nachbarn herein. „Geschockt und böse über das, was passiert ist“, sagt er. So fühlt er sich auch selbst. „Eigentlich haben wir gewonnen, Öcalan ist verurteilt. Und vernünftigerweise darf man ihn nicht hängen.“ Doch seit er seinen ausgebrannten Laden mit dem abgesprungenen Putz an den Wänden gesehen hat, „sagt mir mein Gefühl, hängt ihn höher.“

So denken gerade viele. „Stammtischparolen in den Teehäusern, auf die wohl wenig folgt, wenn nicht noch mehr Angriffe kommen“, sagen Beobachter. Sie räumen zugleich ein: „Bei den Jungen weiß man aber nie.“ Deren Nationalismus entstehe dabei weniger durch den Kontakt mit der alten Heimat – als vielmehr durch Perspektivlosigkeit in Deutschland. Ähnliches gelte für viele junge Kurden. Die Bremer Polizei, die weiter intensiv Streife fährt, ruft unterdessen die Bevölkerung zu besonderer Wachsamkeit auf.

Für kurze Unruhe im Rathaus sorgte gestern ein gefälschtes Schreiben an die Bremer Presse, nach dem Bürgermeister Henning Scherf die Beflaggung öffentlicher Gebäude mit kurdischen Fahnen wegen Öcalans Verurteilung angeordnet habe. „Blödsinn. Das dient niemandem, am wenigsten den Kurden“, hieß es ärgerlich im Rathaus. ede