■ Pampuchs Tagebuch
: Lokaler Paradigmenwechsel

Die Welt ist groß und bunt, aber oft liegt das Gute ziemlich nah. In Ottersberg zum Beispiel, einem hübschen Weiler, 15 Minuten vor den Toren Münchens und dortselbst in einem „Stadl“. Das ist ein Heuschober, und er gehört der Schwägerin von Rudi Zapf, dem begnadetsten Hackbrettspieler Deutschlands. Seit fünf Jahren räumt er die Scheune an zwei Wochenenden im Sommer leer und veranstaltet die „Ottersberger Stadl-Kulturtage“. Da treten – nach netter Biergartenbewirtung – mehr oder weniger bekannte, zumeist bayerische Kulturschaffende mit fröhlichen Programmen, Gesängen und sonstigen Performances auf, und gelegentlich begleitet sie Meister Zapf auf einem seiner zahlreichen Instrumente. Er vermag es, einer ordinären Ziehharmonika Orgeltöne zu entlocken, die den Passauer Dom zum neidvollen Erröten bringen würden. Dieter Hildebrandt und Gerhard Polt waren schon dort, die Biermöslblos'n und Les Derhos'n, die Giesinger Sautreiber und die Gruppe Klezmorin. Aber auch Unbekanntere haben sich da in Sommernächten ausgetobt, daß sich die Hühnchen im benachbarten Hühnerstall nur so duckten.

Bloß, wie davon erfahren? Wir Bürger erleben ja derzeit allenthalben einen „Paradigmenwechsel“ – selbst der Schröder redet neuerdings davon, wenn er seine Schlachthaushaltspläne verkauft. Im heimischen Stadtviertel zeigt sich dieser Wechsel unter anderem daran, daß die lokalen Informations- und Diskussionsbörsen nicht mehr so recht funktionieren und auch die Stadtteilzeitungen langsam den Bach runtergehen. Es scheint, als stehe der globalen Vernetzung die Austrocknung der klassischen lokalen Netzwerke gegenüber. Die großen Blätter bemühen sich zwar redlich, mit allerlei Beilagen die Highlights um die Ecke zu präsentieren, scheitern aber an der Fülle des Angebots. Auch die rechte Heimeligkeit will sich nicht einstellen, und interkommunikativ ist das schon gar nicht. Von Rudi Zapf erfährt man nur durch Zufall oder Mundpropaganda. Was fehlt – trotz oder wegen Internets – ist die lokale Vernetzung: dem orbi sein urbi.

Aber rechtzeitig zum Jahrtausend- und Paradigmenwechsel kommt da mal wieder Innovatives aus Bayern, dem Land von Laptop und Lederhose: Freimann, Outsidern nur wegen seines Autobahnkreuzes „Tazzelwurm“ bekannter nördlicher Wurmfortsatz des weltläufigen Schwabing, lockt seit einiger Zeit im Netz mit der Adresse „Freimann.com“. Klickt man die an, öffnet sich ein buntes „Bürgernetz“, das interaktive Stadtteilzeitung, Diskussionsforum, Schwarzes Brett, Veranstaltungskalender und Datenbank zugleich ist. Jeder Nutzer kann per Mausklick mitreden, Wer etwas feilzubieten hat, kann das (mit einem Paßwort) als eigene Seite in das Netz heben – egal ob frischen Leberkäs', ein Kulturprogramm oder beides. Man kann gegen den geplanten MacDonald's protestieren und sich gegen die neue Autobahntrasse zusammenrotten, die „Erlebnisschule Kopfball“ besuchen oder dem Bezirksausschuß auf die Finger gucken. Vor allem aber erfährt man – so versprechen die Betreiber –, was los ist im Viertel, oder macht selber was los. Und wirklich jeder darf seinen Senf dazugeben. Freimann hat sich einen digitalen Marktplatz geschaffen (der freilich noch gefüllt werden muß).

Neidisch sehen's die Schwabinger und wollen demnächst mit „Schwabing-extra.net“ nachziehen. Und Rudi Zapf? Der sollte geschwind sein Stadl-Programm in die Tasten hacken und in die neuen Münchner Bürgernetze einspeisen. Wird ihm ja als Hackbrettvirtuosen nicht schwerfallen. Und dann wird sein Stadl als lokalnetzwerkgestützter Heuschober ins neue Jahrtausend segeln, daß die Paradigmen nur so krachen. Thomas Pampuch

ThoPampuch@aol.com