: Albaner gegen Albaner: Machtvakuum im Kosovo
Die UN braucht die UÇK für den zivilen Aufbau. Doch die Befreiungsarmee ist intern zerstritten ■ Von Fabian Schmidt
DDie internationale Gemeinschaft hat die erste Hürde auf dem Weg zur Demilitarisierung der Kosovo Befreiungsarmee UÇK genommen: Seit Montag nacht dürfen sich uniformierte und bewaffnete UÇK-Soldaten nur noch innerhalb bestimmter Gebiete aufhalten. Waffen müssen sich in Sammelpunkten befinden, die von der internationalen Friedenstruppe KFOR überwacht werden.
Aber erst die kommenden Wochen werden zeigen, ob der UÇK-Generalstab auch tatsächlich seine Kämpfer kontrolliert. Die pogromartigen Plünderungen von Häusern der Serben und Roma und zahlreiche Morde, haben gezeigt, daß im Kosovo ein Machtvakuum entstanden ist, welches KFOR bisher nicht füllen konnte. Die Schutztruppe wird nur begrenzt öffentliche Ordnung und Sicherheit gewährleisten können, da sie – eine Armee – keine Polizeiaufgaben wahrnehmen kann. Ein eigenes Justizwesen für Kosovo wird erst in den kommenden zwei Wochen von der UN unter Mithilfe albanischer Richter und Anwälte aufgebaut. Es gibt also noch keine Legislative, die Polizei und Justiz demokratisch kontrollieren könnte. Inzwischen drängt die UÇK in dieses Machtvakuum.
Entscheidend ist nun, wie die Kosovaren in die Institutionen eingebunden werden. Am problematischsten wird das in Polizei und Justiz. Die UÇK und ihre provisorische Regierung unter Hashim Thaci ringt dabei mit dem ehemaligen Schattenstaat des pazifistischen Präsidenten Ibrahim Rugova – des Führers der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) – und seines Premierministers Bujar Bukoshi um die Posten in der zukünftigen Verwaltung. Thacis provisorische Regierung hat einen erheblichen Vorsprung vor Bukoshi, da sie, durch ihre Kämpfer vor Ort, sofort nach Abzug der serbischen Truppen Präsenz zeigen konnte, während die meisten Repräsentanten des Schattenstaates noch im Ausland waren.
Verschiedene Versuche seitens der Internationalen Gemeinschaft und Albaniens beide Rivalen an einen Tisch zu bringen sind gescheitert. Am Dienstag hielten beide Regierungen separate Sitzungen ab, wobei es Thaci gelang, 13 kleinere politische Parteien an einem „Runden Tisch“ zu beteiligen. Sein Sprecher Jakup Krasniqi lud Rugova und die LDK zur Mitarbeit ein, doch das Mißtrauen Rugovas gegenüber Thaci sitzt tief.
Bukoshis und Rugovas Schattenstaat bestanden in erster Linie aus der älteren Generation kosovarischer Politiker, die den acht Jahre andauernden pazifistischen Widerstand gegen das Belgrader Regime geprägt hatten. Dieser Schattenstaat rekrutierte sich zu einem Teil aus ehemaligen Dissidenten, jedoch kamen die meisten seiner Repräsentanten aus der kommunistischen Führung der post-Tito-Ära. Dies traf vor allem für die Verwaltungsstrukturen zu, die der Schattenstaat zum Teil übernahm. Das deutlichste Beispiel dafür war ein Versuch 1992 bis 1993 eine Schattenstaatspolizei und –armee aus ehemaligen Polizei und Armeeangehörigen aufzubauen. Die Aktion schlug fehl, die serbische Polizei verhaftete über 300 Mitglieder der Untergrundkräfte.
Das Scheitern des Schattenstaates und seiner Strategie zeichnete sich mit dem Dayton-Abkommen ab. Rugova war es nicht gelungen, die Kosovo-Krise auf die internationale Tagesordnung zu bringen. Zudem erwies sich sein „Staat“ als unfähig, eine strategische Perspektivdiskussion in seinen eigenen Medien zu führen. Die Verlautbarungen Rugovas und seiner Mitstreiter erschienen zunehmend monoton und unglaubwürdig. Vor diesem Hintergrund gründete sich die UÇK. Sie begann Anfang 1996 mit noch sehr amateurhaften Aktionen und zeichnete sich zunächst durch rücksichtslose Morde an serbischen Polizisten und angeblichen Kollaborateuren aus.
Erst mit den vermehrten ethnischen Säuberungsaktionen Milosevic' seit 1998 wurde die UÇK politisch aufgewertet. Beim Ausbruch des offenen Guerillakrieges 1998 unternahm der Schattenstaat einen Versuch, auch militärisch wieder Fuß zu fassen. Bukoshi, der über erhebliche Steuereinnahmen aus der Diaspora verfügte, entsandte nach Angaben der New York Times eine Truppe von etwa 600 professionellen Soldaten unter Führung des ehemaligen jugoslawischen Armeekommandanten Ahmet Krasniqi nach Albanien. Diese Gruppe bezeichnete sich zunächst als die „Bewaffneten Kräfte der Republik Kosovo“ (FARK). Vieles deutet darauf hin, daß sie schon früh in die UÇK integriert wurde, jedoch ein bestimmtes Maß an Selbständigkeit unter ihrem eigenen Kommandeur behielt. Zu der Zeit deutete einiges darauf hin, daß die FARK-Gruppe erhebliche Unterstützung von der albanischen Opposition um Sali Berisha erhielt.
Schnell kam es zu starken Spannungen zwischen den erfahrenen FARK-Soldaten, die versuchten, die UÇK in eine professionellere Truppe zu überführen, und den jüngeren Kämpfern der Befreiungsarmee, die die älteren zum Teil als Vertreter des verhaßten Regimes betrachteten. Dies mag einer der Gründe für den blutigen Machtkampfes zwischen den Führern der UÇK und der FARK gewesen sein, in dessen Verlauf Krasniqi und – nach Angaben der New York Times – bis zu fünf weitere Rivalen von Thaci ermordet wurden.
Die UN-Mission im Kosovo wird die rivalisierenden Gruppen um Thaci und Rugova in den Aufbau der zivilen und Polizeistrukturen einbinden müssen. Sie muß jedoch aufpassen, keine undemokratischen Seilschaften in Führungspositionen zu befördern, die dann den gesamten Demokratisierungsprozeß lahmlegen. Vor diesem Hintergrund muß sie die Anschuldigungen gegen Thaci ernst nehmen und Transparenz und Kontrolle in der Verwaltung groß schreiben. Ein runder Tisch unter Vermittlung der OSZE könnte dafür eine gute Basis sein.
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