„Das Militär ist das Hauptproblem“

■ Indonesiens berühmtester Schriftsteller, Pramoedya Ananta Toer, fordert eine Aufarbeitung der Verbrechen der Suharto-Ära

Die Romane des 74jährigen Pramoedya Ananta Toer, die in Indonesien verboten sind, wurden in zwanzig Sprachen übersetzt. Ein Drittel seines Lebens verbrachte der Pram genannte Schriftsteller, der mehrfach für den Literaturnobelpreis gehandelt wurde, in Gefängnissen, Arbeitslagern und unter Hausarrest. Zuerst wurde er unter der holländischen Kolonialherrschaft verhaftet, dann 1960 unter Sukarno, weil er sich gegen die Diskriminierung von Chinesen gewandt hatte. Von 1965 bis 1979 sperrte ihn das Suharto-Regime ohne Urteil weg. Im Arbeitslager auf der Molukken-Insel Buru erzählte er seinen Mithäflingen Geschichten, die er erst später zu einem vierbändigen Romanzyklus aufschreiben konnte. Pramoedya, der bis zu Suhartos Sturz im Mai 1998 unter Arrest stand, besuchte jetzt die USA und Deutschland.

taz: Ihre Bücher bleiben in Indonesien weiterhin verboten, Sie dürfen aber erstmals seit 1965 ins Ausland reisen. Symbolisieren Sie damit persönlich die Begrenztheit der politischen Reformen in Indonesien?

Pramoedya Ananta Toer: Die Reformen waren keine Sache von oben, sondern sind das Ergebnis der Studentenbewegung. Die Mächtigen verteidigen weiter die Macht des alten Regimes und versuchen, die Bewegung der Studenten abzufangen, weshalb diese keinen vollen Erfolg hat.

Welche Reformen braucht Indonesien?

Als erstes muß das Militär in die Kasernen zurückkehren. Die starke Rolle des Militärs ist das Hauptproblem. Solange die Streitkräfte an der Macht sind, ist eine demokratische soziale Ordnung nicht möglich. Dann brauchen wir rechsstaatliche Verhältnisse.

Wird Megawati Sukarnoputri, deren Partei voraussichtlich die Parlamentswahlen gewonnen hat, die notwendigen Reformen durchführen?

Das glaube ich nicht. Um Rechtsstaatlichkeit zu erreichen, müssen die Verbrechen von 1965/66 aufgeklärt werden [als Suharto nach einem angeblichen Putsch die Macht ergriff und bis zu einer Million Menschen ermordet wurden, d. Red]. Danach sieht es aber nicht aus, da alle, die jetzt Macht haben, an den Vorgängen damals beteiligt waren: das Militär, multinationale Konzerne, aber auch die Organisation des Muslimführers Abdurrachman Wahid und andere. Solange die Massenmorde nicht aufgeklärt werden, wird politische Kriminalität gutgeheißen und kann sich wiederholen. Megawati vertrauen nicht so viele, vielmehr erklärt sich ihre Beliebtheit aus dem Namen ihres berühmten Vaters Sukarno. Ohne diesen Namen hätte sie wenig Bedeutung.

Kann Indonesien die diktatorische Vergangenheit aufarbeiten, ohne daß es neue Gewalt gibt?

Es geht nicht anders, als die Verantwortlichen des Unrechts zu bestrafen. Wenn sie aus der Verantwortung entlassen werden, ist es ein schlechtes Beispiel. Das Beispiel der südafrikanischen Wahrheitskommission wird in Indonesien wahrscheinlich nicht funktionieren, weil das Militär bisher jede Verantwortung ablehnt – zum Beispiel für die Ermordung der Gewerkschaftsaktivistin Marsinah 1995 oder die Verschleppung von Studenten 1997.

Westliche Staaten wie Deutschland haben Suharto jahrelang gestützt, sein Regime finanziert und bewaffnet. Kann der Westen überhaupt bei der Demokratisierung Indonesiens helfen?

Während meiner jetzigen Reise habe ich dazu aufgefordert, Indonesiens Jugend zu helfen. Sie braucht Hilfe. Erfolgreiche Reformen in Indonesien würden auch die Beziehungen zu den Ländern des Nordens auf eine humanere Grundlage stellen. Denn die Unterdrückung in Indonesien wurde mit Waffen ausgeführt, die aus den Staaten des Nordens stammen. Statt Waffen brauchen wir jetzt moralische Untestützung. Interview: Sven Hansen