US-Geheimakten über Pinochet frei

Die Dokumente von CIA und FBI könnten bei der Anklage gegen den inhaftierten chilenischen Ex-Diktator noch eine Rolle spielen  ■   Aus Washington Peter Tautfest

Was sich in Chile unmittelbar nach der Machtergreifung der Militärs unter Augusto Pinochets abspielte, war für die US-amerikanische Regierung kein Geheimnis. Sie wußte über Massenverhaftungen, Folter und Hinrichtungen Bescheid. Was seit Jahren allgemein bekannt ist, wurde am Mittwoch noch einmal offiziell bestätigt, als in Washington 5.800 Dokumente freigegeben wurden – zusammen 20.000 Seiten –, die aus den Archiven von State Department, FBI und CIA stammen. Die Regierung Clinton hatte letztes Jahr beschlossen, mit der spanischen Staatsanwaltschaft zu kooperieren, die gegen Diktator Pinochet Anklage wegen Menschenrechtsverletzungen erhoben und im Oktober 1998 in London dessen Verhaftung erwirkt und bei der britischen Regierung seine Auslieferung beantragt hatte. Pinochet sitzt zur Zeit in England in Haft.

Neues enthüllen die im Washingtoner Nationalarchiv freigegebenen Unterlagen nicht, sie zeigen aber das Ausmaß der Repression, unter Kenntnis und Duldung der US-Behörden. „Die im chilenischen Militär vorherrschende Auffassung geht dahin, die gegenwärtige Lage auszunutzen, um den Kommunismus in Chile mit Stumpf und Stiel und ein für allemal auszurotten. Schwere Repressionen sind geplant. Das Militär ist dabei, Massenverhaftungen vorzunehmen. Betroffen sind Studenten und Linke jeder Couleur“, meldet ein bisher geheimgehaltener Bericht des CIA zehn Tage nach dem Putsch, am 21. September 1973. Es wurde auch berichtet, daß bei einer Verhaftungsaktion 300 Studenten getötet wurden. Insgesamt wurden im Laufe des Putsches an die 5.000 Menschen in Chile umgebracht, Tausende starben im Laufe von Pinochets 17jähriger Gewaltherrschaft. Nach einem letzte Woche in Santiago veröffentlichten Bericht eines medizinischen Kollegiums sind mindestens 200.000 Menschen unter der Diktatur Pinochets gefoltert worden.

Amerikas Einmischung in Chile geht auf die Zeit vor der Regierung der Volksfront in Chile zurück. Nixon hatte die CIA beauftragt, durch Geheimoperationen einen Wahlsieg Allendes zu verhindern. Als das mißlang, wurde die CIA angewiesen, die Lage in Chile zu destabilisieren. Chile war bis zum Wahlsieg der Volksfront ein für die USA unbedeutendes Land, das weder strategisch noch wirtschaftlich von besonderem Interesse war. Die Volksfront aber siegte zu einem Zeitpunkt, als die USA noch tief in den Vietnamkrieg verstrickt waren. Sollte Chile nach Kuba das zweite Land der westlichen Hemisphäre werden, in dem Kommunisten an die Macht kommen, hätten Nixon und Kissinger das als eine entscheidende Niederlage im Kalten Krieg angesehen.

Historiker sind sich heute darüber einig, daß die USA bei dem Staatsstreich von Augusto Pinochet im Jahre 1973 eine nicht unbedeutende Rolle spielten, daß die Verschwörung der chilenischen Militärs aber einer innerchilenischer Dynamik folgte, die auch ohne Unterstützung durch die USA zum Sturz der Regierung Allende geführt hätte. Mit der Freigabe des diese Woche vorgelegten Materials sind noch nicht alle Unterlagen der Öffentlichkeit zugänglich. Noch zurückgehaltene Dokumente sind nach Auskunft der Regierung Bestandteil einer laufenden Ermittlung gegen die Mörder von Orlando Letelier, eines oppositionellen chilenischen Politikers, der in Washington auf offener Straße von einem chilenischen Mordkommando erschossen wurde.