Die Hilfe brachte den Nachbarländern Profit

■ Die Flüchtlinge kehren ins Kosovo zurück, die internationale Flüchtlingshilfe hat funktioniert, Albanien, Makedonien und Montenegro haben sich verändert. Eine Bilanz

Tetovo (taz) – Wo sich noch vor wenigen Wochen Tausende drängten, sind nur noch vereinzelt Menschen zu sehen, einige Kinder spielen auf den staubigen Plätzen. Die Flüchtlingslager in Makedonien sind wie leergefegt. Auch die Stadt Tetovo hat sich geleert. Selbst im Intellektuellentreff Café Arbi sind nur noch wenige bekannte Gesichter aus Priština anzutreffen. Allein in dieser Stadt waren schätzungsweise 50.000 Menschen aufgenommen worden. Über genaue Zahlen verfügt niemand. Denn Zehntausende sind spontan und ohne Zutun der Hilfsorganisationen von makedonisch-albanischen Familien aufgenommen worden. Zusammen müssen es rund eine Million Menschen gewesen sein, die aus Kosovo vertrieben worden sind. Mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge ist jetzt schon zurückgekehrt.

Es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Der Exodus der Kosovo-Albaner hat die internationalen Hilfsorganisationen überrascht. Vor allem die großen Organisationen sind Ende März angesichts der Massen der Vertriebenen überfordert worden. Das UNHCR zum Beispiel. Als sich Zehntausende an den Grenzübergängen drängten, waren es die kleineren Organisationen, die erste Hilfe leisteten, das UNHCR griff erst Tage später ein. Ohne Hilfe der Soldaten der Nato-Truppen hätten die Flüchtlingsstädte nicht aufgebaut werden können. Auch die Experten des deutschen Technischen Hilfswerks (THW) können stolz sein. Die Bilanz zum Abschluß der Hilfsanstrengungen kann sich im ganzen sehen lassen. In einer einmalig zu nennenden Aktion wurde in einem Zusammenspiel aller Hilfsorganisationen ab Anfang April die Situation letztendlich großartig gemeistert. Die Lebensmittelversorgung klappte, die Menschen wurden medizinisch versorgt.

Bemerkenswert war die Disziplin der kosovo-albanischen Bevölkerung. Trotz der gewaltigen Bevölkerungsbewegung kam es nur zu wenigen Zwischenfällen. Es gab praktisch keine Kriminalität, die von seiten der Kosovo-Albaner ausgegangen war. Wohl aber kam es zu vereinzelten gewaltätigen Übergriffen der Gastgesellschaften. Daß die Kosovaren ihre Rückkehr selbst in die Hand nahmen und sich nicht vom UNHCR nach Plan rückführen ließen, zeigt ihren Willen, sich selbst zu organisieren, und wirft die Frage auf, ob der Bürokratismus der großen Hilfsorganisationen wirklich nötig ist.

Als tiefe Erfahrung bleibt unter dem Strich für die Kosovo-Albaner, daß neben den internationalen Organisationen es vor allem die Albaner in den Nachbarländern waren, die Solidarität gezeigt haben. Mitglieder der albanischen Minderheiten in Makedonien und in Montenegro waren es, die bis zu 30 Menschen in ihren Häusern aufnahmen. Die nichtalbanischen Bevölkerungen in Makedonien und in Montenegro dagegen reagierten abwehrend, es kam zeitweise sogar zu Ausbrüchen von Gewalt. Die makedonische Polizei ist manchmal vor Übergriffen nicht zurückgeschreckt, allein der internationale Druck konnte die Regierung in Skopje dazu bewegen, ihrer Exekutive Zügel anzulegen. Da beide Gesellschaften durch die internationale Hilfe profitierten, kann dort nach der Rückkehr der Kosovaren sogar eine ökonomisch positive Bilanz gezogen werden.

Eine tiefe Erfahrung war ebenfalls das Verhalten der Albaner Albaniens. Unterhalb der zur Schau gestellten Solidarität kam es zu vielen Irritationen. Viele Albaner Albaniens versuchten, aus der Notlage der Kosovaren Profit zu schlagen, viele Wohnungen wurden zu extrem überhöhten Preisen vermietet. Die Aufnahme von 500.000 Kosovaren wurde für Albanien zu einem Geschäft, zumal sich die Bürokratie nicht scheute, den Hilfsorganisationen finanzielle Bürden aufzuerlegen. Daß die internationale Gemeinschaft das arme und rückständige Land in Zukunft stärker unterstützen wird als in der Vergangenheit, ist wohl das wichtigste Resultat für Albanien. Und auch, daß in Zukunft Kosovo von Albanien aus versorgt werden wird. Für die Kosovaren bedeutet die Konfrontation mit den Albanern Albaniens jedoch eine Desillusionierung: Von einem Großalbanien wird in nächster Zukunft wohl in Kosovo kaum jemand sprechen wollen.

Die slawisch-makedonische Gesellschaft dagegen scheint eine große Chance verspielt zu haben. Trotz der politisch und ökonomisch bedeutsamen Versprechungen – Integration in Nato und Europa – wurden die Sympathien zu den „slawischen Brüdern“ und damit zu Miloševic oftmals zur Schau gestellt, der Nationalismus wurde offen vertreten, die Aggressionen gegenüber den Kosovaren auch. Wenn der Regierung zu verdanken ist, daß die Konflikte sich nicht zuspitzten, so hat die slawisch-makedonische Gesellschaft insgesamt es doch nicht verstanden, die ihr gebotenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Trotz der Tatsache, daß Makedonien vom Zufluß der Flüchtlinge profitiert hat, ist das nachbarliche Verhältnis zu den Kosovaren nicht verbessert worden.

In Montenegro dagegen sind die Regierung und ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft weiterhin bei ihrem prowestlichen Kurs geblieben – und dies trotz der Bombenangriffe der Nato auf das eigene Land. Die oft beschworene und von Miloševic angestrebte Destabilisierung der Nachbarländer hat trotz aller Probleme nicht stattgefunden. Erich Rathfelder