Raus Rhetorik in christohafter Verhüllung

Der neue Bundespräsident Johannes Rau hielt zu seinem Antritt gestern eine seiner typischen Reden    ■ Aus Bonn Patrik Schwarz

„Das Wort hat nun der Herr Bundespräsident.“ Als Parlamentspräsident Wolfgang Thierse den Weg zum Rednerpult freigibt, hat Johannes Rau gerade seinen Eid als neuer Mann im Amt beendet: „So wahr mir Gott helfe.“ Anders als in der Rede nach seiner Wahl in Berlin streifte Rau in Bonn die Integration von Minderheiten nur kurz. Der Bundespräsident habe eine doppelte Aufgabe. „Er muß für die Deutschen sprechen, und er muß Minderheiten zur Sprache verhelfen.“ In seiner gestrigen Antrittsrede tauchten neben erwartbaren Allgemeinplätzen zwei andere aktuelle politische Fragen auf: die Welt nach dem Kosovo-Krieg und die sogenannte neue Mitte.

Raus Aussagen dazu waren hinter der fast christohaften Verhüllung seiner präsidentiellen Rhetorik allerdings nur in Umrissen zu erkennen. „Ich gehöre zu denen, die mit zerrissenem Herzen gesagt haben: Wir dürfen nicht tatenlos zusehen“, erläuterte Rau seine Haltung zum Kosovo-Konflikt. Auf einen Gruß an die deutschen Soldaten und die Angehörigen der Hilfsorganisationen in der Region folgte seine „wichtigste Lehre: Wir müssen durch vorbeugende Politik die falsche Alternative zu vermeiden suchen, daß wir Schuld auf uns laden durch Wegschauen oder daß wir Schuld auf uns laden durch den Einsatz militärischer Mittel.“ Diese eher militärskeptische Haltung bei gleichzeitiger Betonung der Krisenprävention rückt ihn in die Nähe der Außenpolitik Joschka Fischers.

Freuen dürfte sich das Auswärtige Amt auch über einen anderen Satz: „Wir brauchen eine Politik, die nicht heute Waffenlieferungen zuläßt, gegen deren Einsatz morgen interveniert werden muß.“ Das Außenministerium könnte dies als Unterstützung werten in einem Streit mit dem Verteidigungsministerium um die Lieferung von 120 „Fuchs“-Panzern an die Türkei. Vorstellungen vor allem aus den USA, es gebe eine neue Weltordnung, sieht der Bundespräsident offenbar skeptisch. „Von einer neuen Weltfriedensordnung sind wir noch weit entfernt“, mahnte er, und auch in Europa habe man noch nicht die Sicherheitsordnung schaffen können, die notwendig wäre, „damit Krieg jedenfalls in Europa kein Mittel der Politik mehr ist“.

„Ohne sinnvolle Arbeit geht ein Stück Menschenwürde verloren“, zitierte Rau im wirtschafts- und sozialpolitischen Teil seiner Rede den Theologen Hans Küng. Arbeit dürfe darum nicht als reiner Kostenfaktor gesehen werden, „dessen Preis so weit wie möglich gedrückt werden muß“. Indem er die Frage eines „neuen Gleichgewichts“ zwischen privatem Wirtschaften und öffentlicher Verantwortung aufwarf, mischte er sich indirekt in die Diskussion um die sogenannte neue Mitte ein. Nicht die Betriebs- oder Volkswirtschaftlehre seien dabei die entscheidenden Maßstäbe, sagte Rau in bester christlicher Tradition. Es komme darauf an, welches Bild vom Menschen wir hätten.

Rau wünscht sich offenbar eine deutlich werteorientiertere Debatte zu diesen Themen. „Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe und Solidarität sind nicht käuflich, sondern unbezahlbar.“ Die Gesellschaft solle Leistungen fordern, „aber man darf Menschen nicht überfordern“.

Ohne die Modernisierungspolitik der neuen Mitte direkt anzusprechen, erinnerte er in diesem Zusammenhang vor allem an deren potentielle Opfer. Die Gefahr der Überforderung bestehe „in besonderer Weise für alle, die aus unterschiedlichen Gründen nichts, noch nichts, nur wenig oder nichts mehr leisten können“.