Radikal, in der Mitte

■ Hermann Kuhn, „Alt-68'er“ bei den Grünen, über die Strategie der Grünen

Das Ergebnis der Bürgerschaftswahlen war für uns eine herbe Niederlage (keine Katastrophe). In der gegenwärtigen politischen Großwetterlage werden die Grünen aus dem Zentrum der Politik wieder in die Richtung des Randes gedrängt. Dem entspricht, daß die gesellschaftlichen Initiativen, die sich ohne und zum Teil gegen den Staat definiert haben, schwächer wer-den, das Zentrum politischer Macht dagegen hohe Anziehungskraft entwickelt. Eine Meldung dazu aus dieser Woche: Klaus Schlösser, taz, buten & binnen, wird die Stimme von Henning Scherf. Das ist so schön und so schmerzhaft wie die Tatsache, daß Ökologie Alltagsthema geworden ist und nicht mehr am Band der Grünen allein geht – klar, daß die Mütter und Väter meinen, daß sie sich mit den Falschen herumtreibt.

Was sollen die Bündnisgrünen tun? Sie sollten nicht „zurück“ wollen – zurück im zeitlichen Sinn –; nicht zurück zur Zeit der Herausbildung der Grünen, in der sie noch „Bürgerinitiative“ und „Selbstfindungsgruppe“ waren, aber auch schon Partei wurden. Die Grünen sind Partei, und sie sollten bewußt die guten Traditionen demokratischer Parteien annehmen wie: das Mandat auf Zeit, die persönliche politische Verantwortung und den „Apparat“, um sich schnell und dauerhaft ein Stück des schmalen Kuchens „öffentliche Aufmerksamkeit“ sichern zu können. Deshalb habe ich vorgeschlagen, auch Bürgerschaftsabgeordneten die Wahl in den Landesvorstand möglich zu machen.

Wir sollten nicht zurück wollen in einen „Burgfrieden“ zwischen verschiedenen Strömungen, der möglichst nicht den Versuch einer politischen Klärung macht. Und schon gar nicht dürfen wir ins Abseits eines „linken“ Bündnisses, womöglich eines breiten. Natürlich war diese Idee eine der Wurzeln der Grünen, aber keine, die den ganzen Baum ernährte, und heute schon gar nicht.

Was wir in der Opposition der nächsten Jahre machen? Wir wollen die Arroganz der Macht eingrenzen, die die Menschen demütigt und dem Land die Vermeidung von Großfehlern so schwer macht. Das entspricht unserer starken Bürgerrechts-Orientierung und wir werden es auch dann tun, wenn das „Machen“ zeitweilig populär ist. Wir müssen dem fundamentalisti-schen Mißbrauch des Sanierungsdrucks durch Scherf und Neumann entgegentreten – Beispiel Hollerland. Dazu müssen wir nicht selbst zur Bürgerinitiative werden, aber wir müssen die Fenster weit aufmachen zu all denjenigen, die sich zunehmend nicht allein bei der großen Koalition aufgehoben fühlen. Das bedeutet viele Angebote zur Diskussion.

Nach zwei, drei Jahren wird die große Schmusezeit definitiv vorbei sein. Wir sollten alles dafür tun, daß die Situation dann so offen ist, daß sowohl CDU als auch SPD als Koalitionspartner für die Bündnisgrünen in Frage kommen. Das ist mehr als die völlig verengte Frage nach dem Erbe der FDP und ganz etwas anderes, ob wir etwa so werden wollen wie Jäger und Adamietz. Ganz bestimmt nicht. Die Bündnisgrünen „suchen“ nicht nach einem beliebigen Platz in der Politik, sie haben trotz aller Vielfalt im Kern ein eigenes politisches Profil. Die Bündnisgrünen können Selbstverantwortung, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltig-keit und politischen Liberalismus – als Engagement für Bürger- und Menschenrechte – auf einmalige Weise verbinden. Ich finde: unsere Stärke sollte sein, keinerlei Fundamentalismus zu pflegen, nirgends; statt dessen den rationalen Ausgleich zwischen diesen Zielen zu suchen und zu definieren. Wieder auf der Höhe der Zeit in allen Fragen der Ökologie, einen sozialen Ausgleich suchend, der Eigeninitiative und –verantwortung als Quellen des Reichtums fördert, das Denken in Nachhaltigkeit auf die Abfolge der Generationen übertragend.

Das bedeutet politisch eine Position nicht am Rand, sondern in der Mitte, frei aber von tradi-tionellen Bindungen und gerade daher in der Lage zu radikalen Vorschlägen. Eine solche Partei kann mit der SPD eine Koalition eingehen, die zB. über die Schröder/Blair-Thesen zerstritten ist, aber auch mit der CDU, die nicht weiß, ob sie diese Thesen von links oder rechts kritisieren soll.

Wie bringt sich eine Partei mit einem Profil, dessen Kern Differenziertheit und die Suche nach rationalem Ausgleich ist, gut sichtbar als Opposition ins Spiel? Auch mit klaren und starken Worten der Kritik, gerade im Parlament. Aber vor allem durch einen erneuten Blick auf die Wirklichkeit und durch Vorschläge jenseits der großen ideologischen Schlachten der letzten Jahrzehnte. Um zwei, drei Beispiele zu nennen: Wie ist Ökologie in einer Jugend neu zu verankern, bei der Mobilität und Freiheit ganz obenan steht? Wie ist auch für Jugendliche und Kinder Sicherheit zu schaffen ohne Verletzung der Bürgerrechte? Kann die Konzentration und Verkürzung der Ausbildungszeit auch ein Zugewinn an Freiheit sein? An der Beantwortung solcher Fragen, finde ich, sollten sich die „Alten“ und „Jungen“ und „Linken“ und „Rechten“, die Politiker wie die verehrte kritische Presse, beteiligen. Tut mir leid, „geil und laut“ (taz 19. 6.) wird das wahrscheinlich nicht immer.