Lyotard, Derrida, Trallala

■ Ren Rong erzählt in der Städtischen Galerie in tausend Bildern vom Leben

KulturredakteurInnenalltag: Man blickt auf ein Bild, eine Installation, eine Skulptur. Eine Gruppe von Menschen blickt mit – und lädt, zumeist ungefragt, tonnenschwer kunstgeschichtliche Bezüge, die vom Höhlenmenschen über Pop Art, Land Art bis Ziegenb Art reichen, auf des Schreiberlings Schultern ab.

Irgendwann erklingt dann noch todsicher der bedeutungsschwangere Dreiklang „Lyotard, Derrida, Trallala“. Und anschließend schleicht man von dannen, um wieder mal über einen Künstler zu berichten, der sich in seinem Atelier permanent von den verzwicktesten Problemen der gesamten abendländischen Weltgeschichte umzingelt weiß und diese in seinem imposanten Werk mindestens einer subtilen Ironisierung unterzogen hat. Oder so.

Ren Rong ist anders. Nicht nur, weil der 39jährige in der Volksrepublik China aufgewachsen und somit erst Mitte der 80er Jahre mit westlicher Kunst, Literatur und Philosophie in Berührung gekommen ist. Sondern vor allem deshalb, weil er trotz reger Auseinandersetzung mit den Problemen dieser Welt Sätze wie „Der Mensch ist Teil, nicht Herrscher der Natur“ sagen kann, ohne daß sich beim Zuhörenden der Wunsch regt, den Künstler dafür postwendend zu knebeln. Woher nur diese Nachsicht?

Zunächst: Ren Rong ist schlicht eine sympathische Erscheinung. Wenn er von den Wurzeln seiner Kunst erzählt, erzählt er einnehmend von seinen vielen Reisen durch China und Europa, von seinen vielen Freunden und Verwandten in China und Europa, von seinen vielen Ausstellungen ebenda und ebendort. Für Ren Rong heißt Kunst vor allem: selber machen. Wo er nur kann, bindet er deshalb in seine Ausstellungsprojekte Kinder und Jugendliche ein. Tagelang schnitzte deshalb der 8. Jahrgang der Integrativen Stadtteilschule am Leibnizplatz zappelige Figuren und große Augen in Folie, bis die Städtische Galerie am Buntentor innen und außen flächendeckend mit auffälligen roten Piktogrammen zugeklebt werden konnte. „Die Menschen sollen schließlich kommen und genau hinsehen“, sagt Ren Rong. Und wieder: Keine Anzeichen, ihn dafür knebeln zu wollen.

In der Tat muß genau hinsehen, wer die verborgenen Reize von Ren Rongs Papierschnitten, Reliefbildern und Kartoninstallationen entdecken will. Denn der flüchtige Blick erkennt zunächst nur eine stetige Variation des Loriotschen Diktums: Ein Ding wie das andere, das ist Qualität. Ein Pflanzenmensch, aus dessen Hals Blätter sprießen und der seinen Lebenssaft aus einem mächtigen, tief in der Erde verwurzelten blättrigen Penis bezieht, wechselt sich auf den meisten Arbeiten mit einem Zwitterwesen ab, das alle Attribute des Männlichen und Weiblichen in üppiger Fülle in sich vereint. Von Spermien in diversen Größen wimmelt es, von sechsfingrigen Händen und allerhand Symbolen, die vor Augen führen sollen, daß, ob Mensch, Pflanze oder Tier, alles mit allem und jede mit jedem unzertrennlich verbunden ist.

Daß dies über die bloße Inszenierung politisch korrekter Gebote hinausgeht, verdankt sich der einnehmenden Harmonie, die Rongs Arbeiten innewohnt: Eine Ästhetik der Anmut, die nicht dekorativ wirkt, aber darum weiß, daß schöne Formen und fließende Bewegungen dem Auge schmeicheln und das Herz nicht unberührt lassen.

Unübersehbar knüpft Rong damit an traditionelle chinesische Kunstformen wie Scherenschnitt und Kalligraphie an, die durch das Zutun zahlloser Generationen zu einem universellen ästhetischen Kanon kollektiver Formen und Zeichen gelangt sind. Doch durch die Verbindung mit „westlichen“ Stilmitteln wie Collage und Rauminstallation findet dieser „Pendler zwischen den Kulturen“ zu einer sehr individuellen künstlerischen Position.

Tausende von privaten Fotos, Briefen, Familienstammbäume, Stadtplänen, literarischen und kunsthistorischen Texten, die Rong als Collagen in all seine Arbeiten integriert hat, eröffnen so Einblicke in den Werdegang dieses Künstlers, zeigen Orte und Menschen, die in Rongs Leben eine Rolle gespielt haben. Im Gegensatz zu hippen britischen Künstlern wie Tracy Emin bedient Rong damit jedoch kein voyeuristisches Bedürfnis des Betrachtenden, sondern führt plastisch vor Augen, wie sich eine konkrete Biographie vor dem Hintergrund zahlloser kleiner und großer Ereignisse und Begegnungen entfaltet und fortentwickelt. Seine Einladung lautet: Hinsetzen, gucken, studieren und hören, was da ein Mensch zu erzählen hat.

Franco Zotta

Bis 1.8. in der Städt. Galerie im Buntentor zu sehen. Öffnungszeiten: Di+Do 10-18h, Mi+Fr 10-16h, So 11-16h. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (38 Mark)