Die Moral im Zielfernrohr

■  Der WDR-Tatort „Licht und Schatten“ (So., 20.15 Uhr, ARD)

„K-I-N-D-E-R-M-Ö-R-D-E--“ steht an der Hauswand. Dem Wort fehlt ein letztes R, dem Hausbesitzer sein weiteres Leben. Er starb splitterfasernackt in seinem Swimmingpool, zunächst mit einem gezielten Schuß entmannt und dann final niedergestreckt von einem stattlichen Blattschuß. Haben hier etwa militante Lebensschützer Hallali geblasen?

„Ferrari und Jaguar!“, staunt Hauptkommissar Freddy Schenk abgebrüht, als er nach der nächtlichen Spurensicherung den Tatort wieder verläßt. Der tote Frauenarzt Dr. Muster lebte offenbar nicht schlecht davon, verzweifelten Frauen bei der Abtreibung zu helfen. „Alles legal“, schnaubt seine Witwe, trotzdem wird sich am Ende herausstellen, daß der Abort ungeborenen Lebens moralisch durch nichts zu legitimieren ist.

Konsequent arbeitet sich das Kölner Tatort-Duo Ballauf und Schenk weiter durch das dramaturgische Dickicht gesellschaftspolitisch relevanter TV-Themen. Nun also die Engelmacherei. Wer hätte Wolfgang Panzer, Autor und Regisseur dieser Folge, zugetraut, diesem endgültig durchdemonstrierten Thema noch eine originelle Seite abzugewinnen?

Touché! Panzer macht sich das darstellerische Potential seiner Helden zunutze. Läßt die beiden Kommissare engagiert und ahnungslos durch das abgegraste Problemfeld stapfen, und zeigt sie in schön gespielter Ambivalenz: Einerseits wollen sie ja aufgeklärt und feministisch sein, andererseits sind sie als Bullen doch auch Lebensschützer.

Und dann ist da ja auch noch Freddys Tochter Sonja. Die ist von zu Hause ausgebüchst, ihr aufgebrachter Papa Freddy versteht die Welt nicht mehr. Schnell wird uns klar, daß auch Sonja ein Problem – nein, das Problem hat: Sonja ist ungewollt schwanger. Nicht, daß das jetzt ein origineller Trick wäre, Privates und Berufliches sinnstiftend miteinander zu verknüpfen – aber es funktioniert halt. Alle allgemeinen Urteile und Vorurteile lassen sich so am besonderen Fall messen – da entsteht die Katharsis geradezu zwangsläufig. Was will der öffentlich-rechtliche Krimi mehr? Klaudia Brunst