Tausend Bootsflüchtlinge erreichen täglich Tansania

■ Die Kongo-Friedensgespräche brechen zusammen, der Krieg eskaliert wieder. Die Zivilbevölkerung flieht massenhaft vor den neuen Kämpfen im Osten des Landes

Berlin (taz) – Sie kommen in kleinen Booten über den See, und was sie erzählen, ist grauenvoll. Die eine Kriegspartei entführe die Frauen und zwinge sie zu sexuellen und anderen Dienstleistungen, die andere nehme die Männer gefangen, wenn sie aus einer suspekten Ethnie stammen. Die eine Kriegspartei ist die Ansammlung traditioneller Milizen namens „Mayi-Mayi“, die im Osten der Demokratischen Republik Kongo gegen die dort herrschenden Rebellen kämpft. Die andere ist die Rebellenarmee, die bei den Kämpfen gegen die Mayi-Mayi von Ruanda unterstützt wird. Und nun flieht die Zivilbevölkerung über den Tanganjikasee nach Tansania, über den Ruzizi-Fluß nach Burundi und durch den Busch in andere Teile des Kongo. Im tansanischen Kigoma kamen allein am Montag 2.150 Kongolesen an. Bis heute gibt es täglich um die 1.000 Neuankömmlinge.

Die meisten Flüchtlinge, so berichten Hilfsorganisationen, sind in einem sehr schlechten Zustand, weil sie sich zum Teil wochenlang in den Wäldern versteckt hatten. 95.000 Kongolesen sind seit Beginn des Bürgerkrieges in ihrem Land nach Tansania geflohen. Jetzt steigt die Zahl rapide an, während Tansania selbst unter Nahrungsmittelknappheit leidet. Etwa 7.000 Flüchtlinge sind an der Grenze zu Burundi eingetroffen, wo bereits Bürgerkrieg herrscht.

Die Flüchtlinge fliehen vor einem Krieg im Krieg. Eigentlich kämpfen im Kongo die Rebellen der „Kongolesischen Sammlung für Demokratie“ (RCD) gegen die Regierung von Präsident Laurent Kabila. Sie werden vor allem von Ruanda unterstützt und haben etwa die Hälfte des Landes erobert. Aber im Rebellengebiet, vor allem in der Provinz Süd-Kivu an der Grenze zu Burundi und Tansania, sind die sogenannten „Mayi-Mayi“ gegen die Rebellen aktiv – lokale Milizen, die vom anti-ruandischen Gefühl unter vielen einheimischen Völkern profitieren.

Von traditionellen Kampfbünden sind die „Mayi-Mayi“ längst zu einer Ansammlung gutbewaffneter Armeen geworden, die im Ausland Waffen kaufen und auch von Kabila unterstützt werden. Die neuen Kämpfe sind offenbar durch eine ruandische Großoffensive ausgelöst worden, bei denen die Mayi-Mayi nach RCD-Angaben zwei Flugpisten verloren.

Auch an anderen Fronten eskaliert der Kongo-Krieg. Im Zentrum des Landes rücken die RCD und Ruandas Armee erneut auf die wichtige Diamantenstadt Mbuji-Mayi vor. Sie haben nach eigenen Angaben am Donnerstag Teile der Stadt Kabinda östlich von Mbuji-Mayi erobert. Der Kabila-treue Provinzgouverneur der Gegend und andere hohe Politiker sind aus Mbuji-Mayi geflohen.

Derweil versanden die Kongo-Friedensgespräche in Sambias Hauptstadt Lusaka, die eigentlich ab heute abend zu einem Waffenstillstand führen sollten. Nachdem sich zunächst die Regierung Kabila über die den Rebellen zugestandene Rolle beschwerte, behindern nun Differenzen zwischen rivalisierenden Rebellendelegationen den Fortgang der Gespräche.

Die RCD hat sich bereits auf den Zusammenbruch des Friedensprozesses eingestellt. Kabila habe „der Verhandlungslogik entsagt“, erklärte kürzlich RCD-Innenminister Joseph Mudumbi: „Das kongolesische Volk wird keine andere Wahl haben, als sich gegen die Barbarei zu verteidigen.“

Dominic Johnson