Ökolumne
: Macht als Vision

■ Warum ich nach 27 Jahren doch aus der SPD ausgetreten bin

Ich bin aus der SPD ausgetreten. Nach 27 Jahren habe ich dieser Partei den Rücken gekehrt. Dieser Schritt ist mir nicht leichtgefallen. Doch ich habe es nicht mehr ausgehalten, durch meine Mitgliedschaft einen Bundeskanzler zu unterstützen, dessen Politik ich nicht länger mittragen kann.

Mein Austritt ist Protest. Ich protestiere gegen die Politik der Bundesregierung, für deren Richtlinien sich Gerhard Schröder als kompetent bezeichnet. Doch welche Kompetenz strahlt ein Regierungschef noch aus, dessen Blick in die Zukunft so erkennbar getrübt ist, daß statt dem Allgemeinwohl als Vision nur der blanke Machterhalt und die Anbiederei an die Wirtschaft bleibt? Welche Gestaltungskraft zeigt ein Kanzler, der vorsorgende Umweltpolitik ersetzt durch nachsorgende Technikgläubigkeit?

Den entscheidenden Ausschlag für meinen Parteiaustritt hat Schröders Veto gegen die EU-Altauto-Richtlinie gegeben. Da hat sich Schröder als willfähriger Nachbeter der Positionen seines VW-Kumpans Piäch gezeigt. Doch dieses Politikverständnis, das ganz offensichtliche direkte Einflußnahme auf Person und Amt des Bundeskanzlers durch Interessenvertreter einschließt, entspricht nicht meinen Vorstellungen einer gemeinwohlorientierten, unabhängigen Politik.

Es sind nicht die Altautos, unter deren Schrott mein Parteibuch liegt. Es ist das Verfahren, wie hier eine lange europaweit abgestimmte Regelung zu Bruch gefahren wurde, das mich so betroffen macht.

Gleiches gilt beim Thema Atomenergie. Auch dort verrät Schröder Positionen seiner – und ehemals meiner – Partei und geht voll auf die Interessen der Atomkonzerne ein. Unter dem Deckmantel „Atomausstieg“ will er den Atommeilern Bestandsschutz bis zum Ende ihrer Wirtschaftlichkeit gewähren. Der Schutz der Gesundheit der Bürger scheint dabei nur eine Randgröße für ihn zu sein. Mit erschütternder Leichtigkeit schiebt er Sicherheitsbedenken beiseite. Bei einem Gespräch mit Schröder zu Fragen des Atomausstiegs mußte ich Sätze hören wie: „Tschernobyl ist doch vergessen, dafür geht kein Mensch mehr auf die Straße.“

Schröder selbst vergißt nicht nur Tschernobyl. Er verdrängt mit seinem Politikstil auch alle Programm- und Wertedebatten, für die ich die SPD als politische Gestaltungskraft für ein zukunftsfähiges Deutschland und Europa schätzen gelernt hatte. Dazu gehören beispielsweise wachstumskritische Ansätze, die Zukunft der Arbeit auch jenseits der Erwerbsarbeit, eine starke Umweltpolitik, die Ökologisierung des Steuersystems. Schröder „schröddert“ sie alle. Zurück bleiben Politikschnipsel wie der Sechs-Pfennig-Benzinpreisbeschluß, klein genug, um ziel- und damit wertlos im Lobbywind zu tanzen.

Ich kann bei Schröder kein eigenständiges Werte- und Zielsystem erkennen. Vielleicht besteht es für ihn aus „Wirtschaftsfreundlichkeit“ und „Arbeitsplätze“. Aber es ist peinlich, wenn Schröder bei einem Interview zum Schuldenerlaß gleich darauf hinweist, daß die entschuldeten Länder dann ja auch wieder investieren und kaufen könnten; oder daß der Wiederaufbau im Balkan gleichzeitig unsere Exportchancen erhöhe.

Aus Mangel an Zielen versteht sich Schröder wohl auch mehr als Moderator gesellschaftlicher Kräfte denn als eigenständiger Politikgestalter: Politik als Druckausgleich auf dem Weg des geringsten Widerstands. Politik als billiges Angebot, daß eine temporäre Nachfrage deckt. Schröder ist vollkommen ökonomisiert. Wie ein moderner Manager auf den Aktienkurs seines Großunternehmens schielt er auf den kurzfristigen „voteholder value“ seiner Politik. Dabei rücken langfristig und ökologisch orientierte Projekte und Reformen aus dem Blickfeld.

Wer einer Partei angehört, muß und kann nicht alle Positionen teilen. Aber es muß ein gemeinsames Grundverständnis von Politik und eine Grundlage gemeinsamer Werte geben. Diese kann ich bei der Führung der SPD durch Herrn Schröder nicht mehr erkennen.

Mein politisches Engagement gilt primär dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Deshalb habe ich nicht die Möglichkeit, innerhalb der SPD für eine Änderung zu streiten, und darum habe ich für mich persönlich die Konsequenz gezogen. Ich hoffe aber, daß andere Mitglieder der SPD dafür kämpfen, daß nicht Industrielobbyismus, sondern gemeinwohlorientierte Politik wieder die Sache der SPD wird – auch und gerade in der Umweltpolitik. Angelika Zahrnt