Wachstum frißt die Umwelt auf

Zwischenbilanz der Europäischen Umweltagentur: Kaum eines der Umweltziele der EU bis 2010 läßt sich verwirklichen. Der Grund: Steigender Wohlstand  ■   Von Thorsten Denkler

Berlin (taz) – Die Zwischenbilanz der Europäischen Umweltagentur, „Umwelt in der europäischen Union – an der Wende des Jahrhunderts“, liest sich wie ein Weltuntergangsroman. Sie zeichnet ein düsteres Bild von der Wirkung des bisher Erreichten und ein noch dunkleres von dem, was noch an Verschmutzungen auf die Umwelt zukommt. Der amtliche Überblick der EU überprüft die wichtigsten umwelt- und klimapolitischen Zielvorgaben der Gemeinschaft auf ihre Erreichbarkeit. In den meisten Fällen ist das Urteil der Umweltforscher aus Kopenhagen eindeutig: Ungenügend.

Nach Auffassung der Umweltagentur liegt das nicht allein an der Umweltpolitik. Die sei auf europäischer Ebene in den letzten 25 Jahren sogar sehr erfolgreich gewesen. Als Grund für die weiterhin hohen Umweltbelastungen machen die Kopenhagener die verbesserte wirtschaftliche Lage der Europäer aus. Durch das Wirtschaftswachstum und den damit einhergehenden Anstieg von Produktion und Verbrauch werden immer mehr Naturressourcen genutzt und Schadstoffe produziert. Bis zum Zieljahr 2010 erwartet die Umweltagentur ein Wirtschaftswachstum von 45 Prozent. Das würde die „Erfolge umweltpolitischer Initiativen partiell zunichte machen“, befürchten die Autoren der Zwischenbilanz. Die Folge: Kaum eine Zielmarke werde bis 2010 erreicht. Verbesserungen beim Umweltschutz kommen nur schleppend voran.

Beispiel: Treibhausgase. Zielvorgabe der EU war, die Emissionen bis zum kommenden Jahr auf dem Stand von 1990 zu stabilisieren. Auf dem Umweltgipfel in Kioto stimmte die EU darüber hinaus dem Vorhaben zu, sie bis 2012 um weitere 8 Prozent zu senken. Das Ziel wird nach den Berechnungen der Umweltagentur weit verfehlt. Zwar hat sich der Kohlendioxid-Ausstoß 1996 gegenüber dem Referenzjahr 1990 um 1 Prozent verringert. Aber die Experten erwarten bis zum Zieljahr insgesamt einen Anstieg der Treibhausgase um 6 Prozent.

Zwar ist der Energieaufwand für bestimmte Produkte gesunken, doch dafür wird mehr produziert. Auch Autos sind umweltfreundlicher geworden, verbrauchen weniger Sprit und haben bessere Motoren. Aber der Trend zum Zweit- und Drittauto macht jeden Fortschritt zunichte. Handeln sei zwingend nötig, mahnt die Umweltagentur. Seit 1990 hat sich die Jahresmitteltemperatur weltweit um 0,3 bis 0,6 Grad erhöht.

Beispiel: Abfall. Die Umweltagentur sieht positive Entwicklungen bei der Wiederverwertung von Rohstoffen. In einigen Gebieten Mittel- und Nordeuropas sei der Restabfall auf weniger als ein Drittel der ursprünglichen Müllmenge geschrumpft. Aber damit wird nicht einmal der Status quo gehalten: Die Umweltagentur glaubt, daß das Abfallvolumen in den kommenden Jahren um etwa 9 Prozent steigt, weil immer mehr Menschen immer mehr konsumieren und mehr Müll produzieren.

Bedroht ist nach wie vor die biologische Vielfalt in Europa. Zwar wird großer Wert auf neue Naturschutzgebiete gelegt. Doch gleichzeitig werden etwa durch den Straßenbau immer mehr Flächen versiegelt. Und die Zersiedlung läßt Pflanzen und Tierarten schneller aussterben.

Einen Lichtblick gibt es immerhin: Die Produktion ozonzersetzender Substanzen wie FCKW und H-FCKW soll bis 2010 eingestellt worden sein. Aber schon jetzt ist klar, daß dieser Erfolg erst langfristig Wirkung zeigen wird. Die Ozonschicht wird sich nicht vor dem Jahr 2050 von den bisherigen Schäden erholen. Bis dahin, so die EU-Forscher, werde die Hautkrebsrate weiter steigen.