„Voraussetzung zur Aufklärung erfüllt“

■ Heinrich Fink dementiert Stasivorwürfe. Jetzt liest der Bundestag die Akten

Berlin (taz) – Der gemeldete Vollzug erweist sich am Ende als falsch. „Vorgang gelöscht – kein Material vorhanden!“, das hielt die Stasi zur Zeit der Wende im Dezember 1989 schriftlich fest. Ein Irrtum, wie sich herausstellt. Einer, der jetzt – zehn Jahre später – auch den Bundestag beschäftigen wird. Rund 230 Seiten zum Teil aus Schnipsel rekonstruierte Stasiakten erhält in diesen Tagen der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Es sind von der Gauck-Behörde zusammengetragene Papiere des dahingegangenen Geheimdienstes – sie erhärten den Verdacht, daß das heutige PDS-Fraktionsmitglied Heinrich Fink dem Staatssicherheitsdienst der DDR unter dem Decknamen „Heiner“ über zwei Jahrzehnte lang unheimlich willfährig zu Diensten war.

Der Vorwurf, inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi gewesen zu sein, ist an sich so alt wie die Beteuerungen von Heinrich Fink, er sei höchstens ohne sein Wissen von Stasimitarbeitern „abgeschöpft“ worden. Die Differenz zwischen beiden Aussagen wird wohl bald über Finks Bleiben oder Nichtbleiben im Bundestages entscheiden.

Unter den Papieren, die dem Bundestag zugeleitet werden, ist eine neu aufgefundene „Übersicht IM-Bestand“. Mit Datum vom 25. Januar 1988 weist sie Heinrich Fink als einen „IMB“ aus, das stasiinterne Kürzel für „inoffizieller Mitarbeiter mit Feindkontakt“.

Eine andere Stasi-Liste bezeichnet den heutigen Bundestagsabgeordneten als wiederholten Besucher einer konspirativen Wohnung „Hagen“, einem „Treffobjekt für IM in leitenden Positionen“. Treffberichte finden sich in den Unterlagen, auch sind finanzielle Zuwendungen unter dem Aktenzeichen „XV/1827/68“ vermerkt – die Registriernummer, die für den „IM Heiner“ stand. Das gleiche Aktenzeichen listet auch ein Befehl von Stasichef Erich Mielke auf: Darin wird dem IM am 7. 10. 1984 die Verdienstmedaille der NVA in Gold verliehen.

Der Grund, warum der Theologe angeworben werden sollte, findet sich in einem Beschluß des MfS Berlin aus dem Juni 1968: Dort ist festgehalten, der Kandidat verfüge über „die erforderlichen Voraussetzungen der Aufklärung dieser innerkirchlichen Einrichtungen wie der Differenzierung und Zersetzung“.

Für Heinrich Fink hatte der Vorwurf der Stasimitarbeit trotz all seiner Dementis drastische Konsequenzen. Erst verlor er nach der Wende seinen Posten als Rektor der Berliner Humboldt-Universität, dann sogar die Professur als Theologe. Der einstige Verfechter des Konzeptes „Kirche im Sozialismus“ klagte gegen die Kündigung vor Gericht und unterlag. Im Dezember 1992 sah das Berliner Landgericht als erwiesen an: Fink hat mit der Stasi telefoniert, Geld und eine Verdienstmedaille erhalten. Vergebens zog Fink anschließend vor das Bundesverfassungsgericht. Jetzt sucht der Mitbegründer der „Komitees für Gerechtigkeit“ vor der Europäischen Kommission für Menschrechte um juristischen Beistand.

Den kann er gut gebrauchen. Wenn sich der Immunitätsausschuß des Bundestages mit der Causa Fink befaßt, dann wird er auf einen Vorschlag zur Auszeichnung des IMB Heiner „mit einem Sachgeschenk in Höhe von 500 Mark“ stoßen. Zur Begründung vermerkten die Stasioffiziere am 1. 11. 1989: „Der IM unterstützt das MfS seit 20 Jahren. Er hat große Verdienste bei der Profilierung der theologischen Sektionen als Bestandteil der sozialistischen Universitäten“. Ob der Vorschlag umgesetzt wurde, ist nicht ersichtlich, aber eher unwahrscheinlich. Nur acht Tage später war die Mauer gefallen.

Vier Wochen zuvor, am 8. Oktober, war der Theologe bei einer Demonstration gegen das DDR-Regime aufgefallen und festgenommen worden. Den Stasiakten zufolge soll sich Fink bei einem Offizier mit den Worten beschwert haben: „Ich arbeite doch auch für euch.“ Vor zwei Wochen wurde Fink in einem Interview mit diesen Passagen aus den Akten konfrontiert. Er räumte ein, daß der Satz möglicherweise so gefallen ist. Wenn, dann habe er ihn aber im Sinne von „Ich bin DDR-Bürger“ gemeint. Wolfgang Gast