„Uns kommt die führende Rolle zu“

■ Makedonien will jetzt, nach dem Kosovo-Krieg, wirtschaftlich ganz groß rauskommen. Lambe Arnaudov, Vize-Wirtschaftsminister, sagt, wie

taz: Wachstum und Wohlstand sollen den unruhigen Balkan stabilisieren. Wie sieht denn in Makedonien die wirtschaftliche Ausgangslage aus?

Lambe Arnaudov: Die Arbeitslosigkeit beträgt 40 Prozent, die Produktivität ist sehr niedrig und die Außenhandelsbilanz negativ. Was ausländische Investitionen angeht, nahm Makedonien bislang den letzten Platz in Europa ein. Im letzten Jahr waren es 150 Millionen Dollar. Ein Teil des Geldes wurde in den Bereichen Telekommunikation, Infrastruktur und in Fabiken in Form von Joint-ventures investiert. Die meisten Mittel sind aber als Kredite ins Land geflossen und kamen der Wirtschaft nicht zugute, weil sie zur Finanzierung der Wahlkampagne dienten.

Haben die Nato-Angriffe die wirtschaftliche Situation weiter verschlechtert?

Ja. Ein Großteil unserer Exporte ging früher nach Serbien. Umgekehrt erhielten wir viele Rohstoffe von dort. Durch den Krieg kam das alles zum Stillstand. Das betrifft auch die Transportwege, die alle über Serbien führten. Jetzt müssen wir Umwege über Bulgarien, Rumänien und Ungarn machen. Das erhöht die Kosten um bis zu 15 Prozent. Viele westliche Firmen haben ihre Verträge auf Eis gelegt, vor allem amerikanische und deutsche Firmen, die sich im Textilbereich im Wert von 800 Millionen Dollar engagieren. Alles in allem belaufen sich die Verluste bis jetzt auf 680 Millionen Dollar, könnten sich aber noch auf 1,5 Milliarden Dollar erhöhen.

Seit Beginn der Kosovo-Krise sind Nato-Truppen und sehr viele internationale Hilfsorganisationen ins Land gekommen. Profitiert die makedonische Wirtschaft davon?

Nicht im ausreichenden Maße. Ein positiver Effekt könnte nur dann eintreten, wenn die ausländischen Organisationen einen Großteil dessen, was sie brauchen, wie zum Beispiel Lebensmittel und Textilien, hier im Land kaufen würden.

Der angekündigte Stabilitätspakt ist die große Hoffnung für Südosteuropa. War für die Einsicht, daß ein solcher Pakt gebraucht wird, ein Krieg nötig?

Der Krieg im Kosovo hat diesen Prozeß beschleunigt. Doch der Pakt, der ja nicht nur Wirtschaftshilfen, sondern auch die Entwicklung von Verwaltung und Menschenrechten vorsieht, wäre auch so gekommen. Auf jeden Fall kommt Makedonien in dieser Region bei der Umsetzung eine führende Rolle zu.

Worauf gründet sich denn Ihr Führungsanspruch?

Makedonien ist ein demokratischer Staat, hier sind Grund- und Minderheitenrechte garantiert. Auch unsere geographische Lage ist ein Vorteil. Der weiteste Punkt in der Region, auf den sich der Stabilitätspakt erstreckt, ist von Makedonien gerade 200 Kilometer entfernt. Da bietet sich Makedonien als Zentrum der Kommunikation geradezu an. Außerdem hat sich Makedonien als das stabilste Land in der Region erwiesen. Die riesigen Gruppen von Flüchtlingen, die wir aufgenommen haben, machten 15 Prozent der Bevölkerung aus. Im ersten Monat haben wir dieses Problem völlig ohne Hilfe von außen bewältigt.

Zu Ihrem Anspruch auf Führerschaft gehört auch, daß Sie sich erhoffen, Sitz des Koordinationsbüros für Hilfen im Rahmen des Stabilitätspaktes zu werden. Was verspricht sich die Regierung davon?

Einem der Hauptziele unserer Außenpolitik näherzukommen. Und das heißt: Verbesserung der Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten. Dieser Prozeß hat bereits begonnen, mit Bulgarien und Albanien, aber vor allem mit Griechenland. Von dort kommen derzeit die größten Investitionen, im vergangenen Monat 300 Millionen Dollar. Auch mit Serbien wollen wir engere Kontakte knüpfen, doch solange Miloševic an der Macht ist, wird das nicht gehen.

Wie sollen die finanziellen Hilfen aus dem Ausland zukünftig eingesetzt werden?

Wir wollen mit dem Geld Bedingungen schaffen, die das Land für Investitionen attraktiver machen. Wir beginnen schon jetzt in der Nähe von Skopje mit der Einrichtung einer rund 100 Hektar großen Sonderwirtschaftszone. Dort sollen 20.000 Menschen während des Aufbaus von Fabriken und der notwendigen Infrastruktur Beschäftigung finden. Insgesamt sind fünf Zonen geplant, alle in der Nähe größerer Städte. Makedonien ist auch im Vergleich zu anderen Ländern der Region für Investoren interessant, weil das Land bereits Produktionsstätten hat. In Serbien sind durch den Krieg viele Anlagen zerstört. Trotzdem ist dort ein Markt. Da könnte Makedonien künftig als eine Art Verteilungszentrum für Produzenten aus dem westlichen Ausland dienen.

Interview: Barbara Oertel