Intelligenter Asyl-Hochstapler?

■ Verwirrspiel um scheinbar tragisches Schicksal eines Jungen aus Togo: Enthauptung der Mutter als Asylstory erfunden?

Angespannte Stimmung im Bremer Verwaltungsgericht: Am Freitag war der zweite Verhandlungstag, an dem der knapp 20jährige Togoer Gilles L. sein Recht auf Asyl durchfechten wollte. Diesmal unter großem Druck – und das nicht nur wegen der für gewöhnlich bohrenden Fragen des Richters. Ein Bericht des Auswärtigen Amtes hatte im Vorfeld für Wirbel gesorgt – auch, und das brachte die Anspannung, unter Freunden und Bekannten des Klägers.

Wer Gilles L. seine Verfolgungsgeschichte bislang geglaubt und sich deshalb für ihn eingesetzt hatte, trägt jetzt nämlich böse Zweifel mit sich herum. Am Ende der über einstündigen Verhandlung, die bis zur Klärung wesentlicher Fragen vorerst vertagt wurde, blieb vor allem eins: Der Verdacht, daß es sich bei dem jungen Mann, der als 15jähriger in Deutschland Asyl beantragt hatte, möglicherweise um einen ungewöhnlich intelligenten Asyl-Hochstapler handeln könnte. Doch noch hat L. eine Galgenfrist.

„Sie werden das nächste Mal hier Antworten geben müssen“, mahnte der Richter am Ende der Verhandlung fast väterlich. „Sie können hier nicht erwarten, daß immer andere Ihre Hausaufgaben machen.“ Zuvor hatte der Richter auf mehrere Widersprüche in Gilles L.s Darstellungen hingewiesen. Denen aber – und das war die Crux – standen mindestens ebenso verwirrende Angaben des Auswärtigen Amtes gegenüber. Dorthin hatte der Richter eine lange Liste präziser Fragen geschickt, die „mit ungewöhnlicher Formulierungskunst“ zweideutig beantwortet worden waren. Sie hatten ergeben, daß das Elternhaus des Jungen nicht auffindbar sei; auch sei seine ermordete Mutter, ehemals Anhängerin der oppositionellen Partei CAR, dort nicht bekannt. Am Morgen der Verhandlung aber hatte der Chef eben dieser Partei das Gegenteil per Fax bestätigt. Fakten, die nicht zu Lasten des Asylklägers wirkten.

„Der Fall ist so ungewöhnlich. Deshalb hatte wohl auch der Richter dem Jungen geglaubt“, vermuten Prozeßbeobachter. Die Geschichte des jungen Mannes – wenn sie stimmt – ist brutal. Bereits am ersten Verhandlungstag (die taz berichtete) hatte Gilles L. den Überfall von Soldaten auf das Haus seiner Mutter, deren Schreie und eine Granatenexplosion geschildert – wenn auch unter erstaunlicher Auslassung präziser Angaben von Namen und Orten. Er sei noch so jung gewesen. Er könne sich nicht erinnern. Er habe die Freunde seiner ermordeten Mutter – die jetzt bestätigten sollten, daß er erstens der Sohn eines zweitens politischen Mordopfers sei – nicht mit vollem Namen gekannt. Erst 18 Monate, nach der Flucht habe er erfahren, daß seine Mutter, eine regimekritische Professorin, tot war. Ein Freund hatte die Kirchenzeitung samt Nachruf auf die Mutter geschickt. Daraus ging hervor, daß der enthauptete Leichnam der Mutter aufgetaucht war. Das Problem: Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes, ist diese Zeitung – die dem Gericht vorliegt – „nicht bekannt“. Oder gab es sie nicht, rätseln Prozeßbeteiligte. Eine Fälschung etwa? Ein bezahlter Druckauftrag, ein Fall vielleicht, wie er vor Jahren in einem Togo-Asylverfahren bereits auftrat, an das sich Togo-Experte Pastor Erich Viering noch erinnert.

Der Auftrag an den jungen Asylbewerber ist klar: Er wird jemanden finden müssen, der glaubhaft macht, daß er wirklich der Sohn der Ermordeten ist. Möglicherweise könnte ein ebenfalls geflüchteter ehemaliger Bekannter, der jetzt in Siegen lebt, helfen. Die große Narbe an der Schulter, die er sich bei der Flucht zuzog, und die psychosomatischen Beschwerden, wegen derer Gilles L. in Behandlung war, werden nicht ausreichen. ede