Blackpool statt Barcelona    ■ Von Ralf Sotscheck

Mike und Annabel wollten eigentlich im Urlaub nach Spanien, aber Blackpool ist auch schön. Gut, das Wetter ist wechselhaft, aber dafür gibt es an der Promenade viele Spielcasinos. Und Geld können die beiden gebrauchen, denn ihre Spanien-Nichtreise war teuer: Das Reisebüro behauptete, eine Rückzahlung käme nicht in Frage, weil es ihre eigene Schuld war, daß sie nicht nach Spanien konnten. Mike und Annabel hatten nämlich keine Reisepässe.

Das geht 530.000 Briten und Britinnen ebenso. Das Inneministerium hat im vorigen Jahr die Ausstellung von Pässen an eine neue Dienststelle übertragen, die mit einem nagelneuen Computersystem ausgestattet wurde. Das stürzte prompt ab. „Anlaufschwierigkeiten“, so nannte es die Regierung und verabschiedete flugs ein Gesetz, das die Anlaufschwierigkeiten in eine Katastrophe verwandelte: Weil man Kindesentführungen erschweren wollte, benötigen seit Oktober auch Säuglinge ihren eigenen Reisepaß, was zu einer Flut von Anträgen führte.

Wer irgendein Dokument vergißt, etwa die Beglaubigung der Säuglingsidentität, muß am nächsten Tag wiederkommen – ein Alptraum. Acht, neun Stunden Wartezeit sind keine Seltenheit. Die Agentur erklärt das mit einer „saisonbedingten hohen Nachfrage nach Pässen“. Merkwürdig, die Briten verreisen im Sommer. Wer konnte das ahnen?

Mike und Annabel hatten schon vor sechs Monaten ihren Paßantrag samt Gebühr eingeschickt. Dann buchten sie zuversichtlich ihren Spanien-Urlaub. Als sie einen Monat vor der geplanten Abreise noch immer nichts von der identitätsstiftenden Dienststelle gehört hatten, riefen sie an und gerieten in eine endlose Warteschleife. Nun schien ein persönlicher Besuch beim Paßamt angeraten. Den gleichen Gedanken hatten 400 reiselustige Mitbürger – manche waren bereits nachts mit Campingstühlen, Thermoskannen und belegten Broten angerückt.

Mike zog eine Wartenummer, und als man ihm nach drei Stunden erklärte, daß er in der falschen Schlange gewartet hatte, zog er eine neue Wartenummer. Nach weiteren drei Stunden hatte er die erste Hürde genommen und war bis zur Hauptwarteschlange vorgedrungen. Diesmal dauerte es nur zwei Stunden, bis ihm der Beamte eröffnete, daß sein Antrag verlorengegangen sei und er einen neuen stellen müsse. Wieso wurde dann aber der Scheck für die Paßgebühr eingelöst? Der Antrag sei eben erst danach verschwunden, meinte der Beamte ungerührt.

Annabel erging es nicht besser. Sie stand zwar in der richtigen Schlange, war aber gerade einen Kaffee trinken, als ihre Nummer aufgerufen wurde. „Gehe zurück auf Los“, urteilte der Warteschlangendompteur wie beim Monopoly-Spiel, und die Paßausstellung ist ja auch ein Monopol. Ein paar Studenten boten ihr an, gegen eine happige Gebühr für sie anzustehen, doch da kam Mike mit den Bahntickets für Blackpool.

Bisher mußten erst 50 Leute ihren Urlaub absagen, meinte ein Sprecher der Dienststelle und deutete an, daß man die Preise für die Pässe erhöhen müsse, sollten Schadenersatzklagen eingehen. Die Regierung hat schnell reagiert: Sie hat 500.000 Pfund bereitgestellt – für eine Anzeigenkampagne, die das paßlose Volk beruhigen soll.