Kein Ghetto für Kopftuchträgerinnen

Das Kölner Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen setzt auf gezielte Weiterbildung    ■ Von Mona Naggar

Es ist Freitag nachmittag. Draußen ist es warm. Im kleinen Klassenzimmer in den Räumen des Begegnungs- und Fortbildungszentrums muslimischer Frauen (BFMF) in Köln kann sich keine der neun Schülerinnen an dem warmen Wetter erfreuen. In ein paar Tagen fangen die Prüfungen für den Realschulabschluß an. Drei schriftliche und sechs mündliche sind zu bewältigen. Die Lehrerin Amina Theißen läßt noch einen Biologietest schreiben. Sie fiebert mit. Wenn die Prüfungen anfangen, wird sie ihre Schülerinnen jeden Tag zum externen Prüfungsort hinbringen und abholen. Tuba und Yusra haben diesen Streß hinter sich. Letztes Jahr absolvierten sie am BFMF den Realschulabschluß. Jetzt besuchen sie das Köln-Kolleg und wollen in zwei Jahren Abitur machen.

Alle Schülerinnen des Zentrums zählten an deutschen Bildungsinstitutionen zu den hoffnungslosen Fällen. Oft handelt es sich um Mädchen, die abwechselnd in der Türkei und in Deutschland zur Schule gegangen sind. An deutschen Schulen hatten sie Schwierigkeiten wegen ihres Kopftuchs oder des Unterrichtsstoffs, mit dem sie nicht mitkamen, in der Türkei erhofften sie sich die Lösung ihrer Probleme. Wenn sie dann doch nach Deutschland zurückkehrten, hatten sie die deutsche Sprache verlernt und waren zu alt, um an regulären Schulen wiederaufgenommen zu werden.

Als Tuba nach Deutschland zurückkehrte, war sie 17. Sie besuchte einen Deutschkurs im BFMF, ein Jahr später absolvierte sie dort den externen Hauptschulabschluß. Der Weg für den Realschulabschluß war frei. Mädchen wie Tuba hilfreich zur Seite zu stehen und ihnen zu einem Schulabschluß in Deutschland zu verhelfen ist das Ziel der Leiterin und Gründerin des Zentrums, Amina Theißen.

Sie fing vor drei Jahren mit Deutschkursen an und stellte fest, daß es sehr viele türkische Mädchen gibt, die in Deutschland leben und keinen Schulabschluß haben. Aber ohne Schulabschluß keine Berufsausbildung. Und die Möglichkeit, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, bleibt ihnen versperrt, obwohl die meisten Mädchen ihre Lebenszukunft hier sehen. Stolz erzählt Amina Theißen, daß fast 40 Mädchen bereits im BFMF den Haupt- oder Realschulabschluß absolviert haben. 80 Prozent davon besuchen heute weiterführende Schulen oder machen eine Lehre.

Die meisten der Schülerinnen tragen Kopftuch, die Lehrerin ebenfalls. Das islamische Kleidungsstück, das in Deutschland immer wieder für hitzige Diskussionen sorgt, ist im Fortbildungszentrum kein Thema. Kein Lehrer oder Mitschüler fragt nach Sinn und Zweck der Kopfbedeckung oder fordert gar auf, das Kopftuch abzunehmen. Das erleben die Mädchen als befreiend. Sie müssen nicht unentwegt über ihre Religion Auskunft geben und können sich endlich ganz auf den Unterrichtsstoff konzentrieren.

Amina Theißen beschreibt das Fortbildungszentrum als einen Schonraum, in dem die Schülerinnen nach mehrjähriger Abwesenheit aus Deutschland an das hiesige Lernsystem herangeführt werden. Aber ein Ghetto soll es nicht sein. Die Lehrerin für Deutsch und Geschichte, Sultan Aydogdu, wehrt sich entschieden gegen diese Bezeichnung: „Ich bin gegen Ghettoisierung, dagegen, daß ich mir eine Nische suche, in der ich beschützt bin, wo ich nicht mit etwas anderem konfrontiert werde“, sagt sie und: „Das ist kein Ghetto, das ist eine Vorbereitung, die sie brauchen. Diese Phase, in der sie eingeführt werden in die Gesellschaft. Das brauchen sie, Schutz und Vorbereitung. Ich möchte nicht sagen, daß sie total behütet werden. Aber man muß gehen lernen, wenn man vorher nicht gegangen ist.“

Auf der anderen Seite versuchen die Lehrerinnen, die traditionellen islamischen Denkstrukturen ihrer Schülerinnen zu sprengen. Aydogdu möchte, daß sie weiterdenken lernen, ohne Scheuklappen, die Grautöne im Leben herausfinden und erkennen, wie sie es ausdrückt. Für sie als Lehrerin ist es immer wieder ein neues Erlebnis zu sehen, wie sich die Schülerinnen innerhalb eines Jahres entwickeln. Sie gewinnen vor allem Selbstvertrauen nach den Erfolgen im Unterricht. Die 20jährige Yusra, die mit Kopftuch die 11. Klasse im Köln-Kolleg besucht, ist im Umgang mit Deutschen selbstsicherer geworden: „Es war eine Umstellung, erst mal in einer größeren Klasse zu sein. Wir waren letztes Jahr acht Mädchen in der Klasse. Es war nicht so schwer, wie es vor vier Jahren hätte sein können, weil man jetzt eine bestimmte Bildung hat. Man hat sich im Schulsystem wiedergefunden.“

Auch nachdem die Mädchen ihren Abschluß gemacht haben, gehen sie hin und wieder ins Zentrum. Sie setzen sich gerne in die Cafeteria, in der es an bestimmten Tagen frischen Kuchen und Pizza gibt. An Nachmittagen herrscht oft rege Betriebsamkeit, wenn Frauen verschiedener Nationalitäten mit ihren Kindern kommen und an einem der angebotenen Kurse teilnehmen. Denn außer den Weiterbildungskursen für Mädchen bietet das Zentrum ein umfassendes Programm für Frauen an: Sprach- und Alphabetisierungskurse, Mütterberatungsgruppen, Vorträge über Islam, Sportkurse u. a.

Das Begegnungs- und Fortbildungszentrum wird von den Beiträgen der Vereinsmitglieder und den Kursgebühren finanziert. Hinzu kommen einige ABM-Stellen und eine kleine jährliche Unterstützung von der Stadt. Wegen der großen Nachfrage mußte das Zentrum Anfang dieses Jahres in größere Räume umziehen. Amina Theißen hofft, daß die öffentliche Hand mehr Interesse zeigt, nachdem das Zentrum, durch viel Eigeninitiative ins Leben gerufen, sich nun etabliert hat.

Für muslimische Frauen und Mädchen aus 20 Nationen ist es zu einem wichtigen Treffpunkt geworden. Für Amina Theißen, die vor 10 Jahren zum Islam übergetreten ist, zeigt das Zentrum, was muslimische Frauenpower auf die Beine stellen kann. Anders als in den meisten muslimischen Gemeinden in Deutschland, die von Männern geführt werden, haben Frauen unterschiedlicher Nationalität hier keine Schwierigkeiten, miteinander auszukommen.