Der Klotz am Bein

In New York wandern Ersttäter nicht gleich in den Knast – sie werden über einen Sender am Leib überwacht. Eine Reportage über den Alltag mit elektronischer Fußfessel     ■ Von Cornelia Fuchs

Sie ist eine Schande für ihre Familie. Das ist etwas Neues, denn jahrelang war Angela Zee die Vorzeige-Enkelin ihrer Großeltern. Sie war ein leuchtendes Beispiel für die Hoffnung der chinesischen Einwandererfamilie Zee auf die goldene Zukunft, den amerikanischen Traum: heraus aus dem kleinen schäbigen Vierzimmerhaus im New Yorker Stadtteil Queens, hinein in die Büroetagen und Luxuswohnungen Manhattans.

Jetzt sitzt Angela wieder im Keller ihres Elternhauses, und mitgebracht hat sie diesmal keine Geldgeschenke, sondern einen zigarettenschachtelgroßen Sender an ihrem Fußgelenk. Sie steht unter Hausarrest, den ein Richter angeordnet hat. Überwacht wird er durch Funkwellen, die der Sender an eine Box abgibt, die wiederum über eine Telefonleitung Angelas Bewährungshelfer alarmieren kann.

Diese Box kann ganz schön zickig sein. Manchmal reicht ein Flugzeug oder auch ein starker Regenschauer, um die Funkwellen zu unterbrechen. Dann klingelt sofort das Telefon, und ihr Bewährungshelfer prüft nach, ob Angela auch da ist, wo sie sein soll. In ihrem Zimmer. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

Im ersten Monat konnte sie das Haus überhaupt nicht verlassen. Ihr Bewährungshelfer kann jederzeit vorbeischauen – und einmal hat er sie dann auch auf dem Treppenabsatz vor dem Haus entdeckt, zigarettenrauchend. „Mein Großvater hat halt Asthma – deshalb ging das in Ordnung, aber eigentlich darf ich den Fuß nicht vor die Tür setzen.“

Das Gerät tickt völlig aus, wenn die Telefonleitungen gekappt werden. Und das passiert in Angelas Wohnblock gar nicht so selten. Dann springt sofort eine Sirene in der Empfängerbox an, so laut wie ein Feueralarm. „Meine Großmutter hat da schon gedacht, die Feuerwehr stünde bereits im Wohnzimmer.“ Der Alarm kann erst abgeschaltet werden, wenn ein Beamter ihn mit einem Sonderschlüssel abdreht. „Und bis dahin weiß die gesamte Nachbarschaft, was los ist“, sagt Angela.

Das ist es, was ihre Familie am meisten stört – nicht die Tatsache, daß Angela eine Straftat begangen hat, sondern daß sie zu Hause sitzt und es so jeder mitbekommt. Wäre sie in einem Gefängnis, könnte man sagen, sie sei für längere Zeit weggefahren. Aber das spricht natürlich keiner ihrer Angehörigen offen aus.

„Die können mich mal“, sagt die zierliche 25jährige Angela über ihre Familie. Und meint damit gleichzeitig auch die Justizbehörden, die ihr ihre derzeitige Situation eingebrockt haben. Seit sie 13 Jahre alt war, hat sie allein für ihren Unterhalt gesorgt. Sie hat ihre Schulgebühren selbst bezahlt – und die für ihren jüngeren Bruder noch gleich dazu. „Woher das Geld kam, das hat doch hier niemanden gekümmert – solange ich regelmäßig gezahlt habe.“ Und daß Angela die großen Summen für die erstklassige College-Ausbildung, die vielen Klamotten und das große Auto nicht allein durch ehrliche Arbeit herangeschafft hatte, das war der ganzen Familie klar. Sogar der über 70jährigen Großmutter, die nach 20 Jahren im neuen Land immer noch kein Wort Englisch spricht und die Werbung im Kabelfernsehen für Regierungsinformationen hält. „Mein Vergehen war, daß ich keine Steuern gezahlt habe – das mag unsere Regierung nicht.“

Angela redet den Grund für ihre Verurteilung gerne etwas schön. Festgenommen wurde sie als Freundin eines gesuchten Mafia-mitglieds, der ein illegales Wettbüro betrieben hat. Sie war gerade dabei, einem seiner Kunden zu erklären, daß Wettschulden besser möglichst prompt beglichen werden sollten. „Der hat sich fast ins Hemd gemacht, der Riesenkerl.“ Sie kann heute noch über das Gesicht des Spielers lachen, der allerdings über ein verstecktes Mikrofon immer wieder die FBI-Beamten warnte, daß er um sein Leben fürchten müsse. „Dabei geht doch heute keiner mehr raus und bricht Schuldnern die Beine“, und die knapp einen Meter sechzig große Angela schaut völlig unschuldig.

Außerdem sei ihr Freund nicht bei der Mafia, sondern habe nur einen italienischen Nachnamen. „Und ich bin schließlich Chinesin. Hast du schon mal von einer echten sizilianischen Mafiafamilie gehört, die einer Chinesin etwas zugetraut hätten? Na, also!“ Den Richter interessierten diese Argumente in der Verhandlung dann herzlich wenig. Ihr Freund wanderte für vier Jahr hinter Gitter. Angela bekam die zehn Monate Hausarrest. Und damit eine Strafe, die sie viel mehr aufregt, als es Gefängnis jemals hätte tun können: „Ich soll hier zu Hause sitzen mit dem Ding am Fuß und darüber nachdenken, was ich falsch gemacht habe. So ein Bullshit!“

Noch mehr kann sie sich über die Gebühren für die Fußfessel aufregen. Genau 4,65 Dollar am Tag. Was in zehn Monaten eine Summe von mehr als 1.410 Dollar ergibt. Wer sie nicht zahlen kann, bekommt einen Kredit vom Staat – mit gepfefferten Zinsen. „Weißt du, Gefängnis ist doch eigentlich gratis. Mit einem Dach überm Kopf und drei Mahlzeiten am Tag. Und ich muß hier meine eigene Miete zahlen – und meine eigenen Fesseln.“

Und genau das ist der Sinn. Denn der elektronisch überwachte Hausarrest soll mehr sein als eine Strafe. Er ist eine Erziehungsmaßnahme. 55 Dollar kostet jeder Gefangene den US-amerikanischen Steuerzahler täglich. Das rechnet der New Yorker Bewährungshelfer James Blackfurt gerne jedem vor, der nach dem Sinn des Hausarrests fragt. 1,2 Millionen Gefangene sitzen in den USA zur Zeit ein, seit 1990 hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt. Allein der Staat New York hat 69.000 Menschen hinter Gittern – der Hausarrest verspricht die Entlastung überfüllter Gefängnisse und strapazierter Staatskassen.

Die Fußfesseln sind für Ersttäter gedacht, die so noch einmal eine Chance bekommen sollen, sagt James Blackfurt: „Sie können weiter einem Job nachgehen, sie können bei ihrer Familie bleiben – und rutschen so nicht weiter ins kriminelle Milieu ab.“

Mit den Fußfesseln bekam Angela die Auflage, jeglichen Kontakt zu ihrem Freund abzubrechen. Sie darf nicht mit ihm telefonieren, sie darf ihm noch nicht einmal mehr schreiben. „Wir leben hier doch in einem freien Land. Was fällt denen ein, mir zu sagen, wen ich lieben darf und wen nicht?“ Lieben darf sie ihren Freund natürlich schon, nur der Kontakt mit ihm ist ihr verboten. Das haben ihr wörtlich der Richter und dann auch noch ihr Bewährungshelfer gesagt. Jetzt will Angela ihn eben heiraten: „Das werden wir ja noch sehen!“

Wie ein ungezogenes Kind werde sie behandelt, das regt Angela am meisten auf. Ihren Hausarrest darf sie nicht in der eigenen Wohnung absitzen, sondern sie mußte hierfür zu ihren Großeltern zurückziehen. Der Aufenthalt in Spielhallen ist ihr für vier Jahre verboten. Eben solange darf sie den Staat New York nicht verlassen. Ihr Bewährungshelfer kann jederzeit alles aus ihrem Zimmer beschlagnahmen, was er für gefährlich hält. Außerdem mußte sie unterschreiben, daß sie ihrer Familie Respekt entgegenbringt und sie unterstützen wird. Das alles soll Angela wieder auf den richtigen Weg zurückführen. „Aber das funktioniert nicht“, sagt Angela. So etwas funktioniere doch nicht auf Befehl. Für Jugendliche sei diese Strafe vielleicht das Richtige – wie der gute alte Hausarrest. Aber sie kooperiere nur, weil sie kooperieren wolle.

Denn obwohl alles so genau geregelt zu sein scheint, weiß Angela sehr genau um die Lücken, die andere, die die gleiche Strafe aufgebrummt bekamen, auszunutzen wissen. Wer unter Hausarrest steht, soll arbeiten gehen. Dafür werden bis zu zwölf Stunden Ausgang am Tag gewährt. Aber es gibt keine Beschränkungen, welche Arbeit angenommen werden darf. Ein ehemaliger Drogenkurier könne doch so als Taxifahrer arbeiten – und einfach seine Kunden weiter beliefern, sagt Angela. Oder man arbeite angeblich in einer Firma von Freunden, die aber nur als Vorwand diene, zum Beispiel für ein illegales Wettbüro.

Sie kennt da so ihre Pappenheimer, die ihre illegalen Operationen auf Partys in den eigenen vier Wänden und tagsüber vom Büro ihres Arbeitgebers aus weitergeführt hätten. „Die überprüfen das doch gar nicht!“ Um jeden Fußgefesselten auch tagsüber an den verschiedenen Arbeitsstellen zu kontrollieren, fehlen den Bewährungsstellen die Mittel. Und die Verurteilten sollen ja arbeiten, um ihre Fußfesseln zu bezahlen und außerdem weiter ihre Familien und sich selbst zu unterstützen. Denn wenn sie zu Hause von staatlicher Unterstützung leben würden, wäre das Hauptargument für den Hausarrest verloren: daß er soviel preisgünstiger für den Steuerzahler ist als ein Gefängnisaufenthalt.

Angela arbeitet in dem Krankenhaus, in dem auch ihre Mutter arbeitet. Nach einem Monat in ihrem Kellerzimmer mußte sie einfach heraus und etwas tun. Sie will eng mit ihrem Bewährungshelfer zusammenarbeiten und hofft, daß die soziale Ausrichtung ihres neuen Jobs Vorteile für sie bringen wird: „Vielleicht nimmt er mir das Ding vorher ab.“ Denn ihr Sender am Knöchel ist wirklich unangenehm. Er schubbert auf der Haut, trocknet die Stellen unter dem Plastikband aus und zerlöchert sämtliche Socken. Röcketragen ist unmöglich – zumindest, solange Angela den Sender verbergen will. Das Duschen wird zur großangelegten Seifenbefreiungsaktion – denn obwohl der Sender angeblich zum Tiefseetauchen mitgenommen werden kann, setzt er doch hin und wieder aus, wenn Seife auf ihm antrocknet. Angelas Freunde wissen, wie die Schachtel ohne Komplikationen abgemacht werden kann: „Aber das will ich nicht.“

Angela will für ihren Bewährungshelfer gute Miene zum bösen Spiel machen. Denn nur er kann ihren Hausarrest verkürzen, und erst, wenn sie die Fußfessel los ist, kann ihr nächster Wunsch in Erfüllung gehen: Sie will unbedingt wieder in ihre eigene Wohnung ziehen: „Glaub mir, es gab einen Grund, weshalb ich zu Hause ausgezogen bin.“

Jetzt schaut ihre Mutter ständig bei Angela vorbei – sie weiß ja, wo ihre Tochter steckt. Seit Jahren war Angela gewohnt, einfach für Monate zu verschwinden. Ohne ihre Schecks hätte ihre Familie nie erfahren, daß sie einfach nach Las Vegas oder nach Kalifornien abgehauen war.

Jetzt fühlt sich Angela von ihrer Familie regelrecht belagert. Ihre Cousinen räubern ihren Kleiderschrank: „Du brauchst deine Partysachen doch sowieso nicht im Moment.“ Der Bruder mißbraucht sie zum Babysitten seiner kleiner Tochter, wenn er „eben mal schnell“ zu Freunden will. Ihre Großmutter versucht, ihr wieder die alten Sitten chinesischer Ehefrauen beizubringen – und wenn dann ihr Großvater zum wiederholten Mal zur Predigt über die Tugend der harten Arbeit ansetzt, kann Angela schon einmal ausrasten. Wenn sie losschimpft, weiß wieder die ganze Straße, daß mit der Tochter von Zee nicht zu spaßen ist. „Niemand kriegt mich klein“, da ist sich Angela sicher, obwohl „das hier ist anstrengend wie ein zehnmonatiges Weihnachtsfest“.

„Manchmal wäre ich lieber im Gefängnis und hätte meine Ruhe“, kommentiert Angela ihre ungewöhnliche Strafe