■ Mit Trittins Rücktritt würden die Grünen bloß das Symbol ihres umweltpolitischen Versagens beseitigen, nicht aber die Ursache
: Vertrocknetes Grün

Es war einmal vor langer, langer Zeit, da war Umweltschutz eine einfache Sache. Da schwammen Fische noch bauchoben auf dem Rhein, da stieg aus wilden Müllkippen richtig fauliger Modergeruch, und Schornsteine qualmten noch wie richtige Schornsteine. Die Sünder waren eindeutig zu bestimmen, wahlweise skrupellose Unternehmer oder tatenlose Politiker – oder beides zusammen.

Heute ist das anders. Den Klimakiller Kohlendioxid kann man nicht riechen. Er kommt aus jedem Auto, Ofen oder Gasherd. Und einem PC sieht man nicht an, daß 13 Tonnen Material bei seiner Herstellung verbraten wurde. Es geht nicht mehr vorrangig um saubere Luft, schon bei dem Entwurf von Produkten und Fabriken, bei der Planung von Straßen und Häusern muß der Umweltschutz mitgedacht werden. Es geht um eine Lebensweise, die heute nicht so viel Natur und Rohstoffe verbraucht, daß späteren Generation die Lebensgrundlage entzogen wird – die also nachhaltig ist. Umweltschutz muß sich daher durch die gesamte Politik ziehen.

Es ist naiv zu glauben, Umweltpolitik fände nur im Bundesumweltministerium statt. Und genauso naiv, den Grund für die Misere der Grünen mit ihren Ökothemen allein bei Jürgen Trittin zu suchen. Der Minister solle zurücktreten, fordern die Finanzpolitiker Oswald Metzger und Christine Scheel – und inzwischen auch einige grüne Landesverbände. Doch wer genau hinsieht, muß feststellen, daß die Grünen als Ganzes in der Bundesregierung bislang kaum etwas für den Umweltschutz erreicht haben. Mit Trittins Rücktritt würden die Grünen allenfalls das Symbol ihres umweltpolitischen Versagens beseitigen, nicht aber die Ursache.

Trittins Ministerium kontrolliert beileibe nicht die wichtigsten umweltpolitischen Bereiche – eher ist es zuständig für altbekannte Themen: Grenzwerte definieren und Altlasten beseitigen. Zwar ist der grüne Minister formal auch für Reaktorsicherheit verantwortlich – eine Schlüsselposition im Kampf gegen die Atomenergie –, aber in der Praxis ist ihm diese Zuständigkeit weitgehend entrissen worden. Stichwort: Chefsache.

Der Rest wird woanders gemacht – oder unterlassen. Die größten Brocken im Klimaschutz sind Wärmedämmen und Verkehr; beides vermodert bei Bau- und Verkehrsminister Franz Müntefering. Die neue Energiepolitik liegt in den Händen des Wirtschaftsministers Werner Müller. Für einen Stopp des Landschaftsverbrauchs, für eine Förderung der Schiene gegenüber der Straße wäre wieder Müntefering zuständig. Und beim Naturschutz geht wenig ohne Agrarminister Karl-Heinz Funke. In allen drei Ressorts sind die Grünen nicht einmal mit Staatssekretären vertreten. An den internen Fronten im Kabinett hat sich seit den einflußlosen Zeiten von Umweltministerin Angela Merkel nichts geändert.

Die Last der grünen Umweltpolitik kann Trittin also nicht allein schultern, da ist auch die Fraktion gefragt. Das gilt insbesondere für das einzige Ökothema, bei dem es zu einer definitiven Entscheidung kam: der Energiesteuer. Dieses politische Kind der Grünen liegt in der Obhut des SPD-Finanzministers Hans Eichel. Die grüne Federführung lag in der Fraktion bei Reinhard Loske – und auch Trittin-Kritikerin Christine Scheel war als Finanzsprecherin dabei. Das Ergebnis blieb dennoch dünn: „Kein besonders großer Wurf“, gab Loske im Februar beim ersten Schritt zu, aber beim zweiten sollte alles besser werden.

Doch daraus wurde nichts – im Gegenteil: Vor zwei Wochen knickten die Grünen im Koalitionsausschuß ein. Künftig wird die Ökosteuer nur noch halb so stark steigen wie im ersten Schritt. Ein Reförmchen ohne große ökologische Wirkung. Die Niederlage ist um so tragischer, als ja gerade die Ökosteuer das Sinnbild moderner vorbeugender Umweltpolitik ist.

Und weil das jährliche Aufkommen der Steuer halbiert wurde, können auch die Lohnnebenkosten nur noch halb so stark sinken wie zunächst angekündigt. Eine schwere Schlappe auch für die grünen Finanzpolitiker in einem ihrer zentralen Anliegen – und sicher ein zwingenderer Rücktrittsgrund als die Altautoverordnung.

Da nützt es nichts, daß die grüne Kritik an Trittin auch ein bißchen berechtigt ist. Natürlich verfolgt er einen konfrontativen Politikstil. Natürlich wäre gerade ein Umweltminister, der quer durch die Ressorts wirken muß, auf Dialog und Bündnisfähigkeit angewiesen. Doch Metzger und Scheel haben den Gegenstand ihrer Kritik lässig übertroffen: Etwas Konfrontativeres als eine Rücktrittsforderung gegen einen Parteigenossen ist kaum vorstellbar.

Dabei war das Dilemma vorauszusehen. Ein starker Umweltminister hätte Kompetenzen aus den anderen Ressorts gebraucht. Wie wäre es gewesen, Verkehr mit Umwelt zu verschmelzen statt mit Bau. Zumindest das Energieressort hätte ans Umweltministerium gehen müssen, um den Kampf für den Atomausstieg nicht zu einer rein destruktiven Sache werden zu lassen, sondern zu einem Einstieg in eine umweltschonende Energieversorgung.

Auch wurde versäumt, Umweltschutz im Koalitionsvertrag als Querschnittsaufgabe zu formulieren – etwa durch die Einrichtung von Umweltressorts in allen Ministerien, wie sie auf EU-Ebene bereits eingeführt werden.

Statt dessen nutzten selbst die Grünen ihr zentrales Politikfeld nur als Manövriermasse in den Koalitionsverhandlungen – und als Abraumhalde für ihren innerparteilichen Quotenmuff. Joschka Fischers Begehren, in Genschers Fußstapfen zu treten, mußte sich alles andere unterordnen. Am Ende stand ein nach wie vor schwaches Umweltministerium: Mit einem Minister, der eigentlich nicht für die Umwelt zuständig sein wollte, und zwei Staatssekretärinnen, die erst am Schluß des Personalgeschiebes bestimmt wurden – und daher vor allem die Doppelquote „Frau und links“ erfüllen mußten.

Wem die Umweltpolitik so wenig am Herzen liegt, muß sich nicht wundern, wenn Erfolge ausbleiben. Da nutzt es auch nichts, die eigenen umweltpolitischen Ansinnen als nicht „realitätstauglich“ kleinzureden, wie das der grüne Fraktionschef Rezzo Schlauch am Wochenende versuchte. Umweltschutz ist immer noch der Bereich, wo den Grünen die höchste Kompetenz von den Wählern attestiert wird. Es ist gefährlich, das zu ignorieren.

Auch wenn sich die grünen Finanzpolitiker nach dem Sparpaket noch so toll vorkommen – der Erfolg wird Eichel angerechnet, nicht ihnen. Dabei hätte man hier tatsächlich durch Streichen unsinniger Straßenbauprojekte und Subventionen so etwa wie ein grünes Sparen erfinden können. Weil aus dieser Richtung nichts kam, konnen sich Verkehrs- und Wirtschaftsministerium ganz unbehelligt abschotten: Müntefering lädt zur Diskussion des Bundesverkehrswegeplans nicht einmal das Umweltbundesamt ein, Werner Müller startet seinen „Energiedialog 2000“ über die künftige Struktur der Stromversorgung ohne das Bundesumweltministerium. In puncto Dialogunfähigkeit stehen sie Trittin in nichts nach.

Der konzentriert sich derweil auf kaum etwas anderes als den Atomausstieg. Und auch da kann der Umweltminister keinen Erfolg haben, wenn etwa Joschka Fischer bloß zusieht, wie ihm die Atomnovelle aus der Hand geschlagen wird. Da ist es auch keine Alternative mehr, für einen „Nachhaltigkeitsdialog“ zu werben, wie Reinhard Loske das jüngst in der taz tat. Das klingt dann doch zu sehr nach Beschäftigungstherapie am Runden Tisch à la Merkel. Angesichts der Art und Weise, wie Kanzler Gerhard Schröder derzeit mit allen Ökothemen umspringt, ist es eine Frage des Standings, des Einsatzes der Grünen innerhalb der Koalition. Daß aber die Grünen Erfolge im Umweltschutz brauchen, das sollte auch dem Kanzler klarzumachen sein.

Die Quittung folgt prompt. Weil es keine Erfolge im Umweltschutz gibt, schaut nun alles auf ein Thema: den Atomausstieg – wenigstens ein Ökothema der alten Art, in dem sich die Grünen noch sicher fühlen. Ihr Erfolg oder Mißerfolg an diesem Punkt wird gleichgesetzt werden mit dem grünen Profil. Während nun diese Gespräche in der entscheidenden Phase stecken, sind sich Metzger und Scheel nicht zu blöd, ihren Umweltminister weiter in die Enge zu treiben. So haben die Finanzpolitiker mit ihrer Fundamentalopposition gegen den eigenen Minister in einer Woche mehr Schaden angerichtet als Trittin in einem Dreivierteljahr.

Matthias Urbach

Es ist naiv zu glauben, Umweltpolitik fände nur im Bundesumweltministerium stattAngesichts dessen nützt es nichts, wenn die Trittin-Kritik ein bißchen berechtigt ist