„Milosevic' Herrschaft ist auf Blut gebaut“

■ Nenad Canak, der Vorsitzende des Sozialdemokratischen Bundes der Wojwodina, kann sich ein weiteres Zusammenleben der Ethnien im Kosovo kaum vorstellen. Er fordert ein föderales Serbien mit weitgehender Autonomie der einzelnen Landesteile

taz: Nach den Demonstrationen in Cacak sind auch in Novi Sad die Menschen auf die Straße gegangen. Sind diese Proteste der richtige Weg, um Miloševic zu stürzen?

Nenad Canak: Der einzig mögliche Weg. Ich bin 1997 ins serbische Parlament gewählt worden. Als ich und einige meiner Kollegen Druck machten, um die Regierung zu einer Stellungnahme zu zwingen, was 1998 im Kosovo geschehen war, wurde uns das Mandat entzogen. Wo so etwas möglich ist, ohne gesetzliche Grundlage, bedeutet das, daß das Parlament nur dazu dient, den totalitären Charakter des Regimes zu verdecken.

Wie könnte das Szenario nach einem Abgang von Miloševic aussehen?

Zuerst muß eine Übergangsregierung eingesetzt werden, die nach sechs Monaten Neuwahlen organisiert. Wer in der Regierung Mitglied ist, ist nicht entscheidend. Wichtig ist, daß unter den Beteiligten ein Konsens darüber besteht, was zu tun ist, und das heißt: Freier Zugang zu den Medien für die verschiedenen politischen Kräfte, was für die Menschen eine reale Chance bedeutet, ihre Wahl zu treffen.

Wie schätzen Sie die Chancen des Radikalen Vojislaw Šešelj bei den nächsten Wahlen ein?

Schwer zu sagen. Meiner Meinung nach sollten diejenigen, die sich wie Šešelj Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben, von den Wahlen ausgeschlossen werden.

Wie sollte sich der Westen engagieren?

Der Wiederaufbau Serbiens ist eine wichtige Aufgabe. Leider wird das Land von Dieben und Lügnern regiert. Deshalb haben wir uns jetzt um eine direkte Kooperation zwischen Novi Sad und Wien bemüht. Wien wird eine zerstörte Donau-Brücke wiederaufbauen. Doch das Regime versucht alles, um direkte Hilfe zu verhindern, weil dann kein Geld in die Taschen der Regierenden fließt. Sogar österreichischen Ingenieuren wurden Visa verweigert.

Ist es richtig , wenn der Westen Aufbauhilfe an den Rücktritt von Miloševic knüpft?

Ja, doch das kann nicht das ganze Projekt sein. Gleichzeitig müssen diejenigen Kräfte unterstützt werden, die vertrauenswürdig sind. Diejenigen, die gegen Miloševic auf die Straße gehen, ihn stürzen und nach Den Haag bringen wollen.

Wie sollte die Unterstützung konkret aussehen?

Miloševic steht auf drei Stützen: Repression, Kontrolle des Geldflusses, Kontrolle der elektronischen Medien. Eins davon muß man absägen. So müßte ein unabhängiger Fernsehsender eingerichtet werden, den der Westen finanziert.

Warum hat die Opposition bislang zu Kosovo geschwiegen?

Kosovo war kein Problem, sondern wurde von Miloševic erst dazu gemacht. Seine Herrschaft ist auf Blut aufgebaut, er braucht Spannungen und Kriege. Ein Teil der Opposition, wie die Partei von Zoran Djindjic, hat dazu geschwiegen und einen ähnlichen Diskurs wie Miloševic benutzt, in der Hoffnung, seine Anhänger für sich zu gewinnen. Viele aus diesem Teil der Opposition glauben doch selbst nicht, was sie sagen. Das untergräbt natürlich ihre Glaubwürdigkeit.

Welche Rolle spielt die Aufarbeitung der Vergangenheit künftig?

Diese Diskussion muß jetzt geführt werden. Doch dazu müssen die Menschen erst einmal erfahren, was passiert ist. Auch jetzt wissen 70 Prozent der Serben ja noch nicht einmal, wer drei Jahre lang Sarajevo bombardiert hat. Im Kosovo sind grauenvolle Verbrechen im Namen Serbiens geschehen. Gleichzeitg waren antialbanische Gefühle in Serbien stets sehr stark ausgeprägt. Albaner waren keine Menschen. Folglich war ihre Vernichtung gleichbedeutend mit der Vernichtung von Tieren.

Wie sehen Sie die Chancen für ein Zusammenleben der Ethnien im Kosovo, nach all dem, was passiert ist?

Da bin ich sehr skeptisch. Die Menschen im Kosovo sind voll von Wut und Bitterkeit. Selbst wenn ein Teil von ihnen vergibt oder vergißt, wird das sehr lange dauern. Demgegenüber sind die Strukturen in der Wojwodina zwischen den verschiedenen Volksgruppen noch intakt. Noch.

Was heißt: noch? Wollen die Menschen in der Wojwodina auch die Unabhängigkeit?

Wir wollen Autonomie. Während des Krieges stand auch diese Frage nicht auf der Tagesordnung, aber jetzt kommt sie wieder hoch. Das ist auch mit ein Grund dafür, daß Miloševic immer wieder Kriege produziert, damit diese Fragen unter dem Deckel gehalten werden. In Novi Sad waren 25.000 Menschen auf der Straße. Sie verlangen den Rücktritt von Miloševic und wollen, daß das Geld, das jetzt nach Belgrad fließt, in der Wojwodina bleibt. Nur mit diesen Mitteln können wir die unterschiedlichen Kulturen erhalten.

Welcher Status schwebt Ihnen vor?

Unsere Idee ist die eines föderalisierten Serbien mit fünf föderalen Einheiten: Wojwodina, Sandzak, Kosovo, Zentralserbien und Belgrad. Mit einem unabhängigen Montenegro muß ein zwischenstaatlicher Vertrag abgeschlossen werden, der die Zusammenarbeit regelt. Die Wojwodina und Kosovo müssen in dieser Föderation einen Republikstatus erhalten. Anders wird das Kosovo nicht in Serbien zu halten sein. Und wenn der Wojwodina dieser Status verweigert wird, ist sie in spätestens zehn Jahren ein neuens Kosovo.

Die jugoslawischen Truppen in Montenegro sind verstärkt worden. Wird Miloševic auch da eingreifen?

Anzeichen dafür gibt es. Das Regime kann ohne Spannungen und Kriege nicht existieren. Deshalb wird er es auch in Montenegro wieder versuchen. Ob er dazu noch die Kraft besitzt, ist fraglich. Interview: Barbara Oertel