Übers Klischee hinaus

Der schnelle Weg an die Litfaßsäule: Deutschlands neuer Schauspielerstar Marc Hosemann  ■ Von Matthias von Hartz

Dich umlegen“, sagt zur Zeit einer auf einer schwarzen Litfaßsäule zu Nicolette Krebitz und sieht dabei in etwa so aus wie Al Pacino – oder vielleicht wie Alain Delon? Egal. Er sieht nicht wirklich so aus, aber einfach wie einer der wenigen Männer, die mit weit offenem Hemd und Zigarette im Mundwinkel nicht peinlich wirken. Und er sieht vor allem nicht aus wie ein deutscher Nachwuchsschauspieler, und das ist nicht unwesentlich.

Der Mann ist Marc Hosemann, eben doch ein junger Hamburger Schauspieler und der Beweis dafür, daß manche Dinge ganz schnell gehen. Vor einem Jahr habe ich ihn gefragt, ob er bei einem Theaterstück mitspielen möchte. Er hatte keine Zeit, denn er wollte Filmstar werden. Ich habe gelacht, an die vielen Freunde gedacht, die das auch wollen, und ihm dennoch ernsten Gesichts viel Erfolg gewünscht. Nun scheinen die deutschen Medien beschlossen zu haben, daß er einer der neuen jungen Stars des Sommers 1999 ist. Fast keine Frauenzeitschrift gibt es diesen Monat ohne ein Interview mit ihm oder zumindest einen Artikel über Marc/Nicolette/Bonnie/Clyde zum Start von Rainer Kaufmanns Long Hello And Short Goodbye.

Wir treffen uns auf St. Pauli bei Lillo – dem italienischen Restaurant, das er als sein Wohnzimmer vorstellt – und Marc erzählt seine Lebensgeschichte mit der Mischung aus peppiger Professionalität und professioneller Langeweile, mit der man das eben zum zwanzigsten Mal tut: Nach Hamburg ist er vor über zehn Jahren aus einem Ruhrgebiet-Kaff gekommen, hat hier die Schule fertig gemacht und sich dann erstmal in Frankreich durchgeschlagen. Paris war teuer, und als ihm einer eine Menge Kontaktadressen für Jobs in den USA gegeben hat, hat er es in den Rocky Mountains versucht. Überflüssig zu sagen, daß die Kontakte alle uralt und wertlos waren. Marc hat erst ohne Greencard für sieben Dollar auf dem Bau gejobt, schließlich aber doch einiges Geld verdient und ist mit einem Freund erst nach Kalifornien und dann eine Weile nach Mexiko gegangen.

In Hamburg zurück ist er dann eher zufällig an der Hochschule für Musik und Theater gelandet. Das war eine Zeit spannend, aber wirklich gut fand er eigentlich nur seine Lehrerin Jutta Hoffmann. Das konnte es also nicht gewesen sein. Marc sieht ein Gastspiel des Theatre de Complicite und beschließt, auf die Schule zu gehen, von der die Truppe kommt. Aber auch auf der Ecole Jacques Lecoque in Paris ist es nicht ganz so, wie er sich das vorgestellt hatte: Reiche Amerikaner kaufen sich europäische Schauspieltradition. Marc verläßt Paris, kehrt über Umwege nach Hamburg zurück und macht seinen Abschluß an der Schauspielschule.

Schon während des Studiums hat er viel mit den Regiestudenten aus der Friedensallee gearbeitet, mit Marie Bäumer in einer Diplominszenierung gespielt und ist auch in Fatih Akins Kurz und schmerzlos aufgetaucht. Bereits in Kurzfilmen konnte man sehen, daß Marcs Fähigkeit, ganz direkt zu spielen, Figuren möglich macht, von denen man eigentlich dachte, sie würden übers Klischee nie hinauskommen können. Für Altmeister Jerome Savarys Mutter Courage wurde er dann für ein Jahr am Thalia Theater engagiert, wo ihn schließlich auch Detlev Buck entdeckte, in dessen Liebe deine Nächste er großartig einen Penner spielt. Rainer Kaufmann sieht ihn da und besetzt mit ihm die Hauptrolle in Long Hello And Short Goodbye. Und das war auch schon der kurze Weg auf die Litfaßsäule.

Bisher hat er das unbeschadet überstanden, aber die Gefahr des Verheiztwerdens im Nachwuchsschauspieler-Karussell steht im Raum. Marc versucht, das Tempo zu kontrollieren. Einen Porsche hat er sich nun zwar geleistet, aber das Ding hat tausend Mark gekostet, ist häßlich weiß aus den 80ern, und das Beifahrer-Fenster wird nur noch von Karton gehalten. Nach den Filmen hat er auch erstmal wieder Theater gespielt. Mit Disco Pigs hatte er im Malersaal und in der Berliner Baracke im Herbst Premiere. Marc schätzt diese Arbeit sehr, und findet hier am besten seinen Wunsch umgesetzt, einfache Geschichten von wirklichen Figuren zu erzählen. Begeistert berichtet er von Jim Sheridan, der ihm bei der Vorstellung seines mäßigen Der Boxer klarmachte, wie sehr er einfach diese Geschichte erzählen wollte. Diese „rebel attitude“ fehle dem europäischen Kino so oft. Unter anderem deswegen möchte Marc sein eigenes Ding machen.

Ehrlich gesagt hat er sich aber doch schon etwas geändert. Marc versucht mittlerweile nicht mehr, beim Interview das Aufnahmegerät unter einer Serviette zu verstecken.

„Long Hello And Short Goodbye“ startet am 15. Juli bundesweit