Das letzte Schwitzen in der Familientherapie

■ Ensemblemitglieder der Baracke gingen ein letztes Mal an ihren „Ort für uns“

Einsames Zeichen der Chinapfanne: Eine rote Chinalampe baumelte vereinzelt zwischen ausladenden Baumkronen an einem Stahlgerüst im Sommergarten, während es in der Baracke zum letzten Mal schwitzte, dampfte und qualmte. „Just remember, that that is not the end“ – mit Gesang und perlenden Schweißtropfen verabschiedeten sich Ensemblemitglieder und Freunde der Barakke des Deutschen Theaters am Sonntag abend von ihrem Publikum, das mit sehnsüchtig hochgehaltenen Feuerzeugen nicht so richtig loslassen wollte – von Thomas Ostermeier, Tilo Werner oder Jule Böwe. Nach zweieinhalb Jahren „Kampf gegen die westdeutsche Gesellschaft der Sozialpädagogen“, so Ostermeier, endete mit der Spielzeit auch das Barakkenspiel des bayerischen Gymnasiasten und Absolventen der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Hurricane-Cocktail und Tanz bis in den Morgen – die Baracke trennte sich, wie sie einen willkommen geheißen hatte: spaßig und unterhaltsam.

Bevor das Ende, welches kein wirkliches ist, gefeiert wurde, traf man sich am Nachmittag im „Streitraum“ zu einer Diskussion. Wolfgang Engler, Matthias Greffrath, Thomas Ostermeier, die Schauspieler Jule Böwe, Bernd Stempel und Tilo Werner sowie der Dramaturg Jens Hillje machten noch einmal einen Ausflug an den, wie Werner sagte, „Ort für uns“ und sprachen über die Barakke. Was war sie? „Unterrichtetes Sachverhalten“, teilte Ostermeier mit. Jede Unternehmung der Baracke sei immer eine Entdekkungsreise gewesen; Arbeit an und mit dem Stoff und der Versuch, dem Stück am besten gerecht zu werden. Dabei sei, so Ostermeier, der Zuschauer einer Art „Familientherapie“ ausgesetzt worden. Die Stücke, komödiantisch strukturiert und mit Boulevardklischees versetzt, wurden meist so spielerisch überzogen, daß der eine lachte und der andere entsetzt das Gesicht in den Händen barg. Oder einer weinte und der andere spie. Wärme statt Sinn? Das Phänomen, zusammen mit dem Publikum Stücke zu lenken und schlummernde Gedanken zum Leben zu erwecken, sieht Ostermeier als spezifisches Theaterkonzept der Baracke, welches sich trotz aller Verschiedenheit der Stoffe bewährt hat. Ostermeier führte mit der Inszenierung zeitgenössischer Dramatik den Zuschauern jene Empfindungen vor Augen, die unterhalb der durchsichtigen Schicht von Gewöhnlichem und Alltäglichem lauern.

Mit dieser Verbindung aus emotionaler Aufwühlung, Kleinkonflikt, komischer Überspitzung, leidenschaftlichen Rollenspielen und der Loslösung von traditionellen Stoffen wurde Ostermeier zum gefeierten Barackenregisseur, der „leider“ andere Regisseure der Baracke epigonenhaft in den Schatten stellte. Doch Ostermeier weiß, wo er in der Theaterlandschaft steht: Insgesamt 48.000 Zuschauer haben die Baracke in den zweieinhalb Jahren besucht. Die, sagt Ostermeier, hat auch ein mittelmäßiges Herthaspiel. Katja Hübner