Es lebe der Neo-neo-Liberalismus

betr.: „Grüne schießen sich auf Trittin ein“, „Ein Spezi von Rezzo“, taz vom 30. 6. 99

Vielleicht sollten die grünen Milchbubis der Einladung Westerwelles nachkommen und sich innerhalb der FDP profilieren. Jürgen Trittin muß bleiben. Doris Kalveram, Nürnberg

[...] Das Problem ist nicht Herr Trittin, nicht die Thematik, sondern die Depression, die Hoffnungslosigkeit, in die überzeugte aktive Grüne gestoßen werden. Gestoßen werden durch die Prinzipienlosigkeit, die Trägheit, die Postengeilheit, mit der viele FunktionsträgerInnen der Grünen/Bündnis90 ihre eigentlich wichtige gesellschaftliche Aufgabe offenbar zunehmend in den Hintergrund treten lassen (siehe Quittungen der letzten Zeit). Ebenso allein gelassen fühlen kann er sich von der immer größer werdenden, schweigend am Stammtisch meckernden Mehrheit, die seinen fast autoaggressiven (weil ihm Schläge aller Art sicher sind) oder doch heroisch übermotivierten Einsatz dankbar zum Anlaß nimmt, endlich wieder SPD oder ähnliches wählen zu können.

Trittins Grenzüberschreitungen sind – emotionslos betrachtet – auch verzweifelte Aufrufe eines Alleingelassenen. Man sollte ihn verstehen wollen, ihm danken und ihn endlich unterstützen. Denn letztlich hat er für alle AtomgegnerInnen und kritischen AutonutzerInnen (sind wir doch wohl mehrheitlich) gegen die SPD aufgeschrien. Wer weit und breit niemanden neben sich sieht, muß einfach lauter schreien, wenn er gehört werden will. In einem Chor wäre er maximal als Solostimme aufgefallen. Vielleicht galt seine Lautstärke nicht nur dem Thema, sondern seiner eigenen Partei und den SympathisantInnen. Und wahrscheinlich wirkt er in einem Chor auch nicht mehr so angespannt unerträglich arrogant.

In diesem Sinne: Danke, Herr Trittin, und danke auch an die linken und realoistischen jungen Grünen. Man könnte fast meinen, wo noch diskutiert wird, ist noch Leben drin. Aber alleine könntet Ihr Euch bald fühlen, wie Herr Trittin. [...] Michael Goebel, Unna

Was Christian Ströbele, Jürgen Trittin und den anderen verdutzten Alt-Grünen jetzt von seiten des aufmüpfigen Jung-Volks widerfährt, ist gar nicht so neu. Schon der weltkluge weimarische Geheimrat ließ einen „Parvenue“ in einer griesgrämigen Altherrenrunde während der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg verbittert klagen: „Wir waren wahrlich auch nicht dumm / Und taten oft, was wir nicht sollten; / Doch jetzo kehrt sich alles um und um, / Und eben, da wir's fest erhalten wollten.“

Wie gut aber, daß es in der in zwei ideologisch erstarrte Lager gespaltenen grünen Partei noch so gescheite junge Leute gibt wie die, die sich jetzt zu Wort melden – es stimmt hoffnungsvoll! Mögen sie Mut, Standvermögen, Klugheit – und Erfolg haben! Ulrich Uffrecht, Buxtehude

Gäbe es den Harff-Preis („Harff des Tages“ scheint da ja schon unangemessen), wären die GewinnerInnen sicher – die wogenden Westerwellen, die sich vor lauter olivgrünem Neo-neo-Liberalismus fast selbst (über)schlagen!

Da harffen die Einheitsschlipsträger ganz selbstsicher gegen die nicht einmal mehr erwähnenswerten linken, alternativen Überbleibsel der Ex-Ökopartei (Trittin gehört sicher nicht dazu – oder fällt euch spontan jemand ein, der/die wirtschaftsfreundlichere „Umwelt“-Politik machen würde?) ... Mit folgender oralen Intervention erkämpften sich die jungen Wilden/Wellen den fiktiven Preis (der nebenbei bemerkt die Wiedereinführung des Ritterkreuzes überflüssig machen könnte): „Fischerchöre, sammelt euch! (Ex-)Linke, Fundis, Ökos, Pazifisten, alle, die immer noch an den Atomausstieg, Antimilitarismus, Basisdemokratie, (soziale) Gerechtigkeit und den anderen unwichtigen Kram glauben: Raus aus der Partei! Ihr habt noch zwei Tage. Keine Diskussion(en) mehr!“

Es lebe der Neo-neo-Liberalismus, es leben die Fischerchöre, die politische Inhaltslosigkeit und die „humanitäre Intervention“, auf ein nächstes Mal – denn „was uns nicht umbringt, macht uns härter!“ – prost! Sonja Vogel, Schülerin aus Darmstadt