Balanceakt sich gegenseitig neutralisierender Kräfte

■ Die neue israelische Regierung steht: Statt mit dem konservativen Likud arrangierte sich Premier Barak mit den orthodoxen und linken Parteien. Das erfordert Kompromisse

Jerusalem (taz) – Trotz des überraschend deutlichen Wahlsieges von Ehud Barak, der noch diese Woche als israelischer Premierminister vereidigt werden wird, dauerte es 50 Tage, bis eine Regierung formiert war. Die Direktwahl des Regierungschefs machte die Verhandlungen mit den vielen kleinen Parteien schwierig.

Acht Fraktionen werden künftig in der Regierung sitzen. Barak hat damit Rückendeckung von 77 der insgesamt 120 Abgeordneten. Keine der Koalitionsfraktionen wird den Fortbestand der Regierung gefährden können, es sei denn, es gäbe eine Partnerschaft mehrerer Fraktionen. Angesichts der Konstellation der Koalition ist das jedoch unwahrscheinlich. Zu groß sind die Unterschiede in den Weltanschauungen von Baraks Partnern.

Auf Baraks Agenda stehen der Friedensprozeß, gesellschaftliche und wirtschaftliche Reformen sowie „die endgültige Formulierung eines Grundgesetzes“, so versprach er nach der Wahl. Die Trennung von Staat und Religion ist 51 Jahre nach der Gründung Israels angesichts der demographischen Veränderungen im Land eine dringende Angelegenheit: Die Religiösen werden immer mehr, und sie werden alles daran setzen, ihr Monopol im Bereich der Personenrechte und damit den jüdischen Charakter Israels zu bewahren. Mehr als ein Drittel der Partner Baraks gehört zum religiösen oder ultraorthodoxen Spektrum. Günstig für den neuen Premier ist, daß auch unter den Kipa-Trägern Interessenskonflikte bestehen. Die einen verfolgen nichts anderes als die eigene Stärkung mittels öffentlicher Gelder, die anderen haben zuallererst die Wahrung von „Erez Israel“, dem Abraham von Gott versprochenen Land, im Sinn. Dazu gehört das im Westjordanland gelegene Hebron ebenso wie ein Gesamt-Jerusalem.

„Das Festhalten an Erez Israel steht auf dem ersten Platz“, erklärte Barak kurz nach der Wahl, aber: „Es gibt Orte, das weiß ich, über die wir schwere Entscheidungen treffen werden.“ Damit die Bevölkerung diese leichter schlucken wird, brauchte Barak eine große Regierungsmehrheit. Denn seineeigentlichen Prioritäten sind die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den Palästinensern und mit Syrien sowie der Abzug der israelischen Truppen aus der sogenannten Sicherheitszone im Südlibanon. Nur so kann Barak rechtfertigen, nicht die Hardliner des Likud, sondern die ultraorthodoxe Schas-Partei in seine Regierung gerufen zu haben. Und nur mit schnellen Erfolgen im politischen Dialog wird das Linksbündnis Merez vor seinen Wählern sein Gesicht wahren können.

„Nur nicht Schas!“ hatten die linken Weltlichen gefordert, als sie auf dem Rathausplatz in Tel Aviv den Wahlsieg Baraks feierten. Nun sitzt Merez künftig doch Seite an Seite mit den verhaßten ultraorthodoxen Abgeordneten, deren Wähler sich in den vergangenen Monaten als offen undemokratisch entlarvt hatten. Merez-Chef Jossi Sarid ließ sich seine Kompromißbereitschaft teuer bezahlen. Er wird künftig auf dem Posten des Erziehungsministers sitzen und über sehr viel Geld entscheiden können. Das Budget für Erziehung steht nach dem Verteidigungshaushalt an zweiter Stelle.

Die Partnerschaft mit der Merez forderte umgekehrt auch Schas Kompromisse ab. „Wir haben in unserem Erziehungssystem eine Million Schekel Defizit“, begründete der Mentor der Partei, Rabbi Ovadia Josef, seinen Jüngern den Regierungsbeitritt. „Wo sollen wir die hernehmen?“ Barak hat Schas viel abverlangt. Die Partei mußte auf die beiden für sie wichtigsten Ämter, das Innenministerium und das Erziehungsministerium verzichten.

„Es gibt keine Versprechungen hinsichtlich Ministerposten“, erklärte Barak wenige Tage nach der Wahl, doch die Ernennung von David Levy zum Außenminister sowie Nathan Scharanskys zum Innenminister standen wohl immer schon fest. Levy hat seit dem Abschied aus der Regierung von Benjamin Netanjahu seine politische Kraft verloren und gilt auch international als eher farblos. Es gab keinen Grund, ihm ein so machtvolles Amt zu geben, außer der Verpflichtung Baraks, dem Partner in seiner Ein-Israel-Liste die für ihn so wichtige Ehre zukommen zu lassen. Levy wird auf Einfluß pochen. Ob er die gesamten kommenden vier Jahre Außenminister bleiben wird, ist abzu-warten.

Anders ist es bei der Ernennung Scharanskys zum Innenminister. Der Chef der Partei der russischen Migranten löst einen Schas-Mann ab und wird ein deutlich weniger „jüdisches“ Regiment führen, zum Beispiel wenn es um die Staatsbürgerschaft für nichtjüdische Einwanderer aus Moskau geht.

Susanne Knaul