Chirurgischer Eingriff im Kaukasus

Russische Truppen greifen Rebellen in Tschetschenien an. Innenminister spricht von Präventivschlag. In Grosny weiß man nichts von Angriffen    ■ Aus Moskau Klaus Helge-Donath

Russische Kampfhubschrauber haben gestern früh einen Präventivschlag gegen tschetschenische Freischärler an der Grenze zu Dagestan geflogen. Nach Aussagen des russischen Innenministers Wladimir Ruschailo beabsichtigten zwischen 150 und 200 Rebellen aus der abtrünnigen Kaukasusrepublik, einen russischen Posten an der Grenze zur Nachbarrepublik Dagestan zu überfallen. In der tschetschenischen Hauptstadt Grosny wurden diese Angaben dementiert. Es gebe keine Informationen über Angriffe, sagte Sicherheitsminister Turplad Atgerijew.

Anschläge und Überfalle auf russische Grenzeinrichtungen und Entführungen russischer Bürger in den angrenzenden Regionen gehören seit Monaten zur Tagesordnung in der von sozialen Nöten geplagten Nordkaukasusrepublik. „Dem Funkverkehr haben wir entnommen, daß eine ganze Reihe von Rebellen getötet wurden. Wir hatten keine Verluste“, meinte der Innenminister zufrieden.

Offenkundig scheint sich der Kreml entschieden zu haben, die Tschetschenen durch gezielte Militärschläge einzuschüchtern. Bereits im Juni vernichtete eine Hubschrauberstaffel einen tschetschenischen Konvoi von 15 Lastkraftwagen, die angeblich mit Rebellen bemannt gewesen sein sollen.

Beweise blieb Moskau indes schuldig. Unter dem neuen Premierminister Sergej Stepaschin reagiert das Zentrum verstärkt mit dem Einsatz von Gewalt. Dahinter verbirgt sich indes lediglich Ratlosigkeit, wie mit der Situation umzugehen ist. Der Kreml verfügt über keine langfristige Strategie, wie sich der unruhige Kaukasus befrieden ließe.

Offensichtlich spielt die Region im Denken der russischen Führung nur eine periphere Rolle. So ist im gegenwärtigen Kabinett kein Minister für Tschetschenien verantwortlich. Bei den Waffenstillstandsverhandlungen im Jahre 1996 hatten sich die kriegführenden Parteien darauf geeinigt, die umstrittene Frage des Status der Republik bis zum Ende des Jahres 2000 zu klären.

Moskau scheint unterdessen die Entscheidung verschleppen zu wollen. Genauer: die Republik der Implosion preiszugeben. Nicht zufällig isoliert der Kreml Grosny ganz gezielt und kommt seinen Verpflichtungen nicht nach, die ursprünglich vereinbarten Reparationszahlungen für den Wiederaufbau zu leisten. Innenpolitisch gerät der tschetschenische Präsident Aslan Maschadow daher zunehmend unter Druck von Kräften aus dem radikaleren Lager.

Trotz vereinzelter Strafaktionen wird es der Kreml nicht wagen, einen neuen Feldzug gegen die abtrünnige Republik zu lancieren. Nach der schmachvollen Niederlage ist die damalige „Kriegspartei“ im Kreml von der Bildfläche verschwunden. Ihren Platz haben Falken eingenommen, die es bei martialischer Rhetorik belassen, indes gelegentlich auch mal zuschlagen, wenn das mit keinem weiteren Risiko verbunden ist.