Schlagloch

Abbilder. Urbilder. Vorbilder.  ■ Von Kerstin Decker

Das Gegenteil einer richtigen Behauptung ist eine falsche Behauptung. Aber das Gegenteil einer tiefen Wahrheit kann wieder eine Wahrheit sein. Niels Bohr

Bilder sind unmittelbar. Sie sind Verdichtung zur Gegenwart. Über Zeichen kann man streiten. Zeichen sind Stellvertreter, sie transportieren etwas anderes, nie sich selbst. Zeichen kann man widerlegen. Bilder nicht.

Jemandem seine Bilder zu nehmen heißt ihn auslöschen. Sein Weltverhältnis. Seine Erfahrungen. Das gilt für Gesellschaften wie für Menschen. Woher dieser seltsame Eifer, alles für „unwert“ – verräterisches Wort – zu erklären, was aus der DDR kam? Literatur und Malerei traf es besonders hart und – unvorbereitet. Georg Baselitz probierte in der FAZ gleich nach 1989 einen weltumschauenden Sucher-Blick: Echte Maler? Aus dem Osten? Unmöglich. Er könne keine entdecken.

1983 gingen Bilder aus der DDR quer durch die Bundesrepublik. Günter Grass schrieb dazu, daß „die Künste und mit ihnen die Dichter und Maler ,ortlos' geblieben“ wären. Ohne Mauer. Ja, im Osten habe man „deutscher“ gemalt. Grass meinte dieses Wort positiv – die Tradition von Otto Dix und Max Beckmann, vergessen im Westen, wurde den DDR-Malern Schutz vor Vereinnahmung. DDR-Kunst?, fragte der Kunstkritiker der FAZ, Eduard Beaucamp, am Montag in der früheren Akademie der Künste-Ost, wieso denn das? Was die malten, käme doch gar nicht aus der DDR, das käme doch von viel weiter her.

Die DDR war langsam. Auch daran ist sie zugrundegegangen. Sie war langsamer sogar im Vergessen. Sie hielt hartnäckig fest am Werkcharakter von Kunst – am Bildcharakter der Bilder. Daraus ist nun ein ästhetisches Verdikt geworden. Freie Kunst entsteht nur in einem freien Lande, glauben die Demokratiegebürtigen. Diktaturen sind ein Glücksfall für den Dramatiker, bemerkte Heiner Müller. Und welcher wirkliche Maler wäre kein Dramatiker? Man erkennt es am besten an Blumenstilleben, diesen größten aller Vanitas-Bilder. Daß die Zeit der Kunst und die Zeit des Fortschritts nicht dieselben sind, hat man schon vergessen.

Die DDR-Abteilung der vielgeschmähten Weimarer Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“ zog daraus nur die letzte Konsequenz. Man sah die Bilder vorher gar nicht mehr an, orderte sie nur aus den Depots – egal was, Hauptsache viel! – und arrangierte sie zu einem Mittelding aus Zirkus und Kuriositätenkabinett auf grauen Plastikfolienwänden.

Zu den elf Werken aus dem Palast der Republik liest man im Ausstellungsführer: „Es sind Schaustücke einer großen Selbstdarstellung des Staates.“ Doch ein Bild ist zuerst Selbstdarstellung des Künstlers. Daher die Tiefe der Verletzung. Eine Zeit, die den Kunstbegriff auffasert zwischen Aktion, Happening und Installation – im rasenden Stillstand der Provokation –, versteht das nicht mehr. Die mußten doch alle sozialistischen Realismus malen!, äußerten selbst Akademiker in Weimar. Behält Arnold Gehlen, der große Skeptiker im Angesicht der klassischen Moderne, doch recht, daß alles auf einen Endpunkt zutreibt? Auf eine neue Verkindlichung, die nun nicht länger Protest, sondern unentrinnbarer geistiger Habitus wird.

Und Sie waren nie abstrakt?, fragte ich Bernhard Heisig vor einem Jahr, als man ihn nicht im Reichstag malen lassen wollte. Na klar, rief Heisig, und wie abstrakt er gewesen sei. Er war der Bierholer bei den Abstrakten. Aber irgendwann hatte er keine Lust mehr zum Abstraktsein, zum Bierholen und wurde Bernhard Heisig. Der Menschenmaler.

Versteht diese Gesellschaft keine Bilder mehr? Hält sie jedes Bild, auf dem sich etwas „erkennen“ läßt, für ein Abbild? Oder, schlimmer noch, für ein Vor-Bild, Idealisierung? Wo Abbild und Vor-Bild realsozialistisch zusammenfallen, entsteht Kitsch. Wieviel Kitsch zeigt Weimar?

Zwei Diktaturen, zweimal gegenständliche Malerei. Der Weimarer Ausstellungskurator Achim Preiß hat diese populäre Parallele inszeniert. Er zeigt Adolf Hitlers Lieblingsbilder gleich neben der DDR-Malerei. Das Feuilleton der Süddeutschen fand das wunderbar: „So desavouieren sich zwei verfeindete Ideologien nur durch sich selbst – und jede auf ihre Weise.“ Aber Leserbriefe an den Tagesspiegel sahen das dieser Tage ganz anders: Besser hätte man den Kontrast zwischen zweimal „Gegenständlichkeit“ gar nicht ins Bild rücken können als durch diese Nachbarschaft!

So verläuft die Kluft zwischen Fortschritt und Reaktion doch nicht einfach zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktheit, sondern zwischen guten und schlechten Bildern? Dem grotesken Kraftkitsch der NS-Malerei entsprach in der DDR in ihren besten Augenblicken ein vergangenheitstiefes, bildgewordenes Sinnen, das seine Hoffnung – in oft kaum verborgenem Zweifel, aber dennoch – auf Zukunft stellte. Die DDR wollte Gegen-Bild sein zu den deutschen Katastrophen des Jahrhunderts. Viele hatten es ihr anfangs geglaubt. Manche wohl zu lange. Aber das ist nicht mal wesentlich. Man wähnte sich in einem sinnhaften Kontinuum von Geschichte – noch in der Verzweiflung an dem Staat, der diesen Anspruch erhob. Man malte gegenständlich.

Geld, sagte mir der Maler Bernhard Heisig über sein neues gesamtdeutsches Land, sei doch keine Idee. – Das wäre aber doch das Schöne am Geld, gab ich zu bedenken. Heisig verstand es nicht. Er könne einfach keine Geld-Bilder malen. Geld ist auch abstrakt.

Man hätte die Geschichte der DDR beinahe tragisch nennen können, wenn das Hauptmerkmal dieses komischen kleinen Landes nicht Dummheit gewesen wäre. Dummheit ist die Unfähigkeit, Erfahrungen zu machen. Dumme sind nie tragisch. Die alte Bundesrepublik wollte kein Gegen-Bild sein. Das ist ihre Stärke und ihre Schwäche zugleich. Die Bundesrepublik war der glücklichere der beiden deutschen Staaten und wie alle Glücklichen vielleicht auch etwas gedankenlos. Die Klugen dort wußten, daß Gegen-Bilder fast immer Trug-Bilder sind. Daß es genauso unmöglich, verhängnisvoll ist, mit ihnen zu leben wie ohne sie. Was macht man mit solchem Wissen? Zum Beispiel eine negative Kunst-Theologie. Man erläßt ein „Bilderverbot“, um das Recht des Bildes zu wahren. In der Mitte von Adornos „Ästhetischer Theorie“ steht noch immer das Bild – als durchgestrichenes. Die Bildbedürfnisse des Volkes übernahmen längst Fotografie und Film. Also tat man, was alle Spezialisten tun. Man versenkte sich in die eigenen Grundlagen – in die innere Rationalität des Bildes. Kunst heute ist Reflexionskunst.

Arnold Gehlen hat früh bemerkt, daß solche Auflösungen von einer (erschöpfbaren) Substanz leben. Die galoppierende Avantgarde ist in sich immer konsequenter und ärmer geworden zugleich. Weltlos. Was ist die Mitte der Nicht-Bilder? Besonders mißlaunige Zeitgenossen vermuten längst: das Nichts persönlich. Und nun kommen da diese Maler aus der DDR, vor deren Bildern man stehen kann und nur zu sehen braucht. Ohne Erklärung. Ohne den Kommentar, der das Alter ego des abstrakten Kunstwerks ist.

Überbebilderung, Inflation der Abbilder ist die Realität unserer medialen Gesellschaft. Auch ein Bildersturm. Die wirklichen Bilder hat sie fast verloren.

Die DDR war eine sehr langsame Gesellschaft. Sogar im Vergessen.

Die galoppierende Avantgarde ist immer konsequenter geworden – und ärmer