Wühlen in den Eingeweiden

■ Samurai Fictions: Das 3001-Kino zeigt eine kleine aber repräsentative Reihe mit Klassikern des Samurai-Films

Als todesmutig kennen wir westlichen Kino-Zuschauer den japanischen Samurai. Uns Europäern so fremd und faszinierend zugleich wie der amerikanische Cowboy, reitet dieser Kino-Archetyp am Ende des Films nicht in den Sonnenuntergang, sondern folgt seinem eisernen Ehrenkodex und wühlt lieber in seinen Eingeweiden. Die Vorstellung eines solchen Todes allein verschlägt manchem den Appetit – genauso wie das Wissen, daß der Freitod jenen abgezirkelten Codes folgt, mit denen im Land der Mitte auch das Einschenken von Tee oder das Arrangieren von Blumen sozial reglementiert war. Einsam ist er wie die amerikanischen Prärie-Ritter, nur daß sein Gesetz Gehorsam heißt.

Keiner hat den Samurai so verkörpert wie Toshiro Mifune in den Filmen Kurosawas. Aber auch dort geht es weniger anachronistisch zu als man vielleicht denken mag. In Yojimbo, dem Blueprint von Sergio Leones Für eine Handvoll Dollar, spielt Mifune den herrenlosen Samurai Sanjuro, der in ein von Bandenstreitigkeiten zerrissenes Dorf kommt. Nur ein Hund grüßt ihn, und der trägt eine abgeschlagene Menschenhand zwischen den Lefzen. Der einzige, der von diesem Kleinkrieg profitiert, ist der Sargmacher.

Je mehr dieses apokalyptische Szenario zur modernen Allegorie kapitalistischer Konkurrenz und kollektiver Zwänge gerät, desto stärker wird der Ronin Mifune zur erzählerischen Funktion des verzweifelten, existentiell-humanistischen Projekts Kurosawas. Durch geschicktes Ränkespiel treibt er die Parteien in die gegenseitige Vernichtung, um gerade noch seine Haut zu retten. Gehorsam spielt dabei keine Rolle mehr, aber auch keine Verantwortung den Opfern des Kriegs gegenüber, die Mifune in Die Sieben Samurai noch antrieb. Rechenschaft ist dieser Mensch nur noch sich selbst schuldig, wenn er sich denkbar unheroisch im Sarg aus dem brennenden Dorf schmuggeln läßt.

In Bushido – Sie lieben und sie töten (1963) dient die Samurai-Formel zur Kritik am Autoritarismus, die Tadashi Imai nicht ohne eine heute eher charmant wirkende Portion Didaktik aus der Feudalzeit über den Faschismus bis in die Gegenwart verfolgt. Nach dem im melodramatischen Film-Noir-Stil inszenierten Selbstmordversuch seiner Frau muß ein junger Angestellter erfahren, wie sich der strenge Kodex der Selbstaufopferung immer wieder gegen ihre Träger gerichtet hat. Imai ist dabei so interessant wie diese Perle des sozialen Realismus. Wo Kurosawa ethisch argumentiert, tut dies Imai politisch. Kein Wunder, daß der erklärte Kommunist in den 50er Jahren von den Toho-Studios auf die schwarze Liste gesetzt wurde.

Von derartigen Ernsthaftigkeiten, mit denen westliche Kritiker das japanische Kino verbinden, ist das grell-bunte Genre-Bonbon Killer Mission / Ling Fu – das Glorreiche Schwert (1971), das die Mini-Retro repräsentativ abrundet, komplett frei. Im Zuge der damaligen Chopsockie-Begeisterung vom deutschen Verleih frech „anchinesisiert“, wird da zwischen Leone-Augen-Close-Ups und Geheimwaffen, die einem James Bond zur Ehre gereichen würden, losgetrasht, daß Freunden des Samurai-Pulps in der Art von Okami oder Zatoichi die Tränen vor Lachen gerinnen dürften – gerade weil die Story selten dünn und die Anschlüsse mehr als unbeholfen sind. Und roter war das literweise fließende Blut auch in Godards Weekend nicht.

Tobias Nagl Yojimbo: Do, 8. bis Sa, 10. Juli Bushido: So, 11. + Mo, 12. Juli Ling Fu: Di, 13 + Mi, 14. Juli, jeweils 22. 30 Uhr, 3001