Das Unglück zurückschlagen

Anläßlich des Nazi-Aufmarsches beleuchtet die Antifa das Verhältnis von Pop und Politik – eine mobile Bühne wird dies dokumentieren  ■ Von Carsten
Hellberg

Es gibt in Hamburg eine Tradition, als Musikschaffende auch ein politisches Selbstverständnis zu entwickeln. Das bedeutet in erster Linie, das kulturelle Wirken in einem sozialen Zusammenhang zu sehen und Pop als das zu betrachten, was er im gelungenen Falle immer ist: künstlerischer Ausdruck einer umfassenden lebensweltlichen Vorstellung.

Dieses Selbstverständnis kann unterschiedliche Formen annehmen. Es kann sich explizit textlich formulieren oder solidarische Bündnisse mit anderen eingehen. In jedem Fall geht es darum, die gesellschaftliche Kraft popkulturellen Schaffens zu behaupten.

Seit frühen Punk-Tagen hat dieses Selbstverständnis eine breite Basis in Hamburg, die auch weit über Stilgrenzen hinausreicht. Slimes „Bullenschweine“ tauchten Anfang der Neunziger bei den Absoluten Beginnern wieder auf. Kill The Nation With A Groove hieß der Sampler, der eine Positionierung der HipHop-Szene zum aufblühenden Nationalismus im neuen großen Deutschland abforderte. „Schnauze Deutschland!“ forderte eine künstlerische Allianz anläßlich der vereinigungsbestätigenden Bundestagswahl 1990 und stellte Gitarrenbands neben HipHop-Crews, DJs neben Songwriter. Die Hamburger Dépendance des „Wohlfahrtsausschuß“ wirkte als Forum der Meinungsbildung und Agitation unterschiedlichster Kulturschaffender. Nicht zuletzt forderten einige Protagonisten der sobetitelten „Hamburger Schule“ eine Sensibilisierung für die Frage, welche politische Bedeutung Popmusik haben kann.

Eine andere Hamburger Tradition ist die des konkreten antifaschistischen Widerstands, der es über längere Zeit verhinderte, daß organisierte Rechtsradikale in der Stadt eine, Fuß auf den Boden bekommen haben. Doch diese Tradition ist keine Selbstverständlichkeit, und Hamburg scheint wieder zur Disposition zu stehen. Anläßlich der „Wehrmachtsausstellung“ versuchen faschistische Gruppen nun auch wieder in der Hansestadt Aufmärsche als Normalität zu etablieren. Nach den verbotenen Demonstrationen vom 5. Juni steht nun Samstag, der 10. Juli auf der braunen Agenda. Hiergegen organisieren antifaschistische Gruppen Aktivitäten, die auf Umstände und Termine aufmerksam machen und gleichzeitig eine möglichst breite Öffentlichkeit mobilisieren soll. Zur Vorbereitung findet heute eine Aktion statt, die nicht zuletzt auf das politische Selbstverständnis der Beteiligten baut.

Die Hamburger Bands Blumfeld, Tocotronic, TGV, Niños con Bombas und Les Frères Checkolades positionieren sich auf einer transportablen Bühne, die im Laufe des Tages drei verschiedene Punkte in der Stadt ansteuert und für jeweils eine Stunde Aufklärung, Agitation und Entertainment miteinander verbindet. Bewußt außerhalb subkultureller Räume dringt das Mobil in prominente Plätze bürgerlichen Alltags und manifestiert dort den Anspruch auf den guten Umsturz – und den Widerstand gegen den schlechten.

Wie klingt Blumfelds „Musik für eine andere Wirklichkeit“ von einem LKW gespielt, und gibt es ein Update des „politisch und sexuell Andersdenkenden“ unter den Bedingungen der Liebe? Können Tocotronic das Unglück mit den Mitteln des Rock zurückschlagen und der Jugendbewegung wieder einen guten Namen geben? Rollt TGVs harscher Beat mit großer Geschwindigkeit in die faschistische Fratze? Welche Sprengkraft hat der Hard-Latin der Niños con Bombas? Was checken die frankophilen Brüder, und ist Antifaschismus leckerer als Froschschenkel? Es ist Zeit, sich zu bekennen.

15 Uhr: U-Christuskirche. 16.30 Uhr: Lange Reihe/Carl-von-Ossietzky-Platz. 18 Uhr: Gerhard-Hauptmann-Platz. 20.30 Uhr: Freifläche vor dem Hafenklang/Große Elbstraße