Auf den Spuren des Tarnkappenmanns

■ Neu im Kino: „A place called Chiapas“ dokumentiert die mexikanische Zapatistenbewegung, eine Guerilla, die seit ihrer „Geburt“ am 1.1. 1994 im paradoxen Zustand notgedrungenen Waffenstillstands feststeckt

Sequenz 1: Schwere Lastwägen wälzen sich in der Abenddämmerung über eine Sandpiste. Kahlschlag? Bodenschätze? Keine Ahnung, jedenfalls erzählen diese Bilder von Ausbeutung, Zerstörung und dem feindseligen Eindringen des Fortschritts in ein unbeflecktes Biotop. Sequenz 2: Ein dornengekrönter Holzchristus schaut müde und traurig auf eine lammfromme Indiogemeinde herab. Sequenz 3: Über einen Monitor flimmert die Internetseite der Zapatisten (EZLN). Das Aufeinanderprallen disperater Welten. Irgendwann heißt es dann, die Bauern- und Landlosenbewegung im Süden Mexikos sei die erste postmoderne Revolte. Warum? Vielleicht, weil sich die Zapastisten einer Ideologie enthalten; schließlich lebt man seit 1929 unter der Obhut der PRI, die ihrem Namen (Partei der Institutionalisierten Revolution) wenig Ehre macht. Vielleicht aber auch deshalb postmodern, weil die Zapatisten mit den Widersprüchen zwischen Internet-Hightech und Tradition gut zurecht kommen. Gerne lugt Subcomandante Marcos aus den Schlitzen seiner berühmten Tarnmütze hervor in die Kameras von Modemagazinen ferner Länder, wo er sich eingezwängt zwischen Armani-Werbung wiederfindet. Keine Message ohne Medium.

Fünf Monate heftete sich die Kanadierin Nettie Wild an die Fersen jener Bewegung, die im Ausland dank Revolutionsromantik bekannter und populärer ist als in den Großstädten des eigenen Landes. Eine lange Zeit. Sensationelle Einsichten hat das kanadisch-mexikanische Filmteam allerdings nicht gewonnen. Mit unaufdringlichen Bildern ganz nah am Alltag bringt „Ein Ort namens Chiapas“ aber den Konflikt gefühlsmäßig näher. Immerhin.

Die schönste Stelle kommt eigentlich schon ganz zu Beginn. Da erzählt Nettie Wild vom gigantischen Unterschied zwischen Betroffenheit in der Ersten Welt und Betroffenheit in der Dritten Welt: Während das neoliberale panamerikanische Handelsabkommen, das am 1.1. 1994 in Kraft trat, in Kanada gerade mal „kritische Diskussionen“ auslöste, führte es in Chiapas zur Gründung einer Guerillaorganisation, eben der EZLN. Denn dort ging (und geht) es um die Existenz. 1,6 Millionen Maisbauern sollen durch das Freihandelsabkommen ihrer Lebensgrundlage beraubt worden sein. Der US-Mais ist einfach billiger.

Der Film wurde gedreht kurz vor dem Massaker vom 22. 12. 1997 in Acteal. 45 Indios starben. Wenigstens richtete sich das Auge der Medien wieder auf Chiapas, ein paar Tage lang - soviel zum Funktionieren von Öffentlichkeit. Der Film dokumentiert genau die Auswegslosigkeit der „betroffenen“ Campesinos im Norden Chiapas: Fliehen die Bauern vor den Paramilitärs, werden sie von der Folter der Langeweile zurmürbt. Bleiben sie in ihren Dörfern, können nicht einmal die Zapatisten sie vor den illegalen Paramilitärs schützen. Und die staatlichen Militärs verteilen sogar täglich Freßpakete an diese, statt gegen sie vorzugehen. So riskierten die Bauern für ein Nichts von einem Bretterverschlag, das sie ihr Haus und ihre Heimat nennen, ihren Kopf – 45 verloren ihn.

Des weiteren sehen wir einen wackeren Priester, der seine Gemeinde zur Gegenwehr ermuntert – zur Not mit der Waffe. Und einen Bischof, der sich verbal distanziert von der EZLN, zur Not aber tapfer deren end- und folgenlose Friedensgespräche unterstützt. Und am Schluß kommt es sogar zum Interview mit Marcos himself. Wie ein Stadtmensch und studierter Philosoph an die Spitze einer Bewegung gerät, bleibt allerdings unverständlich, so unverständlich wie die ewige Ungerechtigkeit in der Welt. bk

Kino 46, Do-Sa 20.30h, So-Di 18.30h