Glamour in Hausschuhen

Die einen kreisen um ihren Gitarrenriff, bis die Drogenpolizei kommt, die anderen haben prächtige Melodieideen: Die neuen Indierock-Hoffnungen aus Amerika heißen Built To Spill und Modest Mouse  ■   Von Thomas Winkler

„Hey, Indierock, lange nicht gesehen.“

„Hi.“

„Du siehst ja gar nicht mehr gut aus.“

„Ein bißchen Kater von gestern. Eine von den vielen Platten war wohl schlecht.“

„Das hat Disco Anfang der 80er auch gesagt. Fünf Minuten später war sie tot.“

„Ich sollte wohl mehr auf mich achten. Aber wenn man es bedenkt: Eigentlich gibt es mich ja gar nicht mehr.“

Abgang Indierock. Auftritt: Built To Spill und Modest Mouse. Die einen sind alt und gesetzt, die anderen jung und stürmisch, die einen sind auf der Suche nach dem Glamour des Pop, die anderen verloren in den Untiefen des Rock. Aber beide werden sie gehandelt als Bands, die einem totgeglaubten Genre neues Leben einhauchen könnten. Natürlich kommt die Hoffnung aus der Provinz. Aus einem verschlafenen Örtchen namens Boise, das inmitten der Berge von Idaho gelegen ist. Dort wohnt Doug Martsch als Vater und Hausmann, und abends kommen Freunde vorbei, um im Gartenhäuschen Musik zu machen. So entstand Built To Spill.

Wie ein Streiter für altehrwürdige Unabhängigkeitsideale verweigert Martsch ausgedehnte Konzerttourneen, Videodrehs und Interviews. Wenn er doch mal mit einem Journalisten spricht, dann setzt er sich in Hausschuhen und Schlabber-T-Shirt auf die Terrasse und sagt Sachen wie: „Built To Spill sind nicht für die große Öffentlichkeit bestimmt.“ Na denn tschüs, Produktverwertbarkeit! „Ich mag die Idee, nur von der Musik leben zu können“, sagt Martsch, „aber es kümmert mich nicht allzusehr, meine Plattenfirma glücklich zu machen.“ Ironischerweise, aber nicht überraschend ist es diese Verweigerungshaltung, die sich verkauft, weil die prächtige, mit Gitarrenspuren und Melodieideen überladene Musik mit einem Geheimnis umgeben wird. Dabei entziehen sich die Texte von Martsch jeder Deutung. Sie sind eher lautmalerisch und für alle Interpretationen offen. Modest Mouse, sagt Martsch, die könnten im Gegensatz zu ihm Texte schreiben, die auch etwas zu sagen hätten. Etwas sagen wollen, etwas sagen müssen, möchte man ergänzen mit Blick auf das sturmdrängende Alter der Helden. Anfang Zwanzig sind die drei heute. Als sie die Band in Issaquah, 15 Meilen östlich von Seattle, gründeten, waren sie teilweise noch nicht einmal volljährig. Bis heute kriegt Trommler Jeremy Green legal kein Bier in einer amerikanischen Bar, und Bassist Eric Judy trinkt am liebsten pappsüßen Whiskeylikör. Gitarrist und Sänger Isaac Brock malt sich die Fingernägel an und besingt die verunsicherte Haltung seiner Generation, die nicht mehr Kind sein darf, aber nicht erwachsen sein will.

Ansonsten protzt der High-School-Dropout mit seinem Alkoholkonsum. In Interviews behauptet er großkotzig, er würde niemals einen Song aufnehmen, den er „nicht für nahezu perfekt“ hält. Perfekt ist allerdings nicht das Wort, das einem durch den Kopf schießt. Eher schon: disparat, ungeschliffen, widersprüchlich. Oder: Die hätten mal einen resoluten Produzenten nötig.

Haben sie natürlich nicht, denn die Perfektion liegt gerade in der demonstrativen Unfertigkeit. Rhythmen brechen unvermittelt. Songs mutieren von süßlich zu atonal und zurück. Mal kreisen sie so lange um ihren kleinen Gitarrenriff, daß man die Drogenpolizei rufen möchte, um dem Stumpfsinn ein Ende zu machen. Aber niemals kann man ihrem Garagensound böse sein, denn irgendwie finden sie immer den Ausweg aus der eigenen Falle, der Hörer und Band erlöst. Und vielleicht ja den Zombie Indierock von seinem endlosen Leiden. Heute, 20.30 Uhr, ColumbiaFritz, Columbiadamm 9–11